Hamburg - 25.03.2021

Amtshilfe der Bundeswehr - vielfältig, pragmatisch, empathisch

von der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Frau Dr. Eva Högl

Foto: Deutscher Bundestag / Inga Haar

 

Am 28. Februar 2020 bat der Landkreis Ludwigslust-Parchim die Bundeswehr um Unterstützung bei der Bereitstellung von Quarantäneräumen. Es war der Anfang des bislang größten Amtshilfe-Einsatzes der Bundeswehr in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Seitdem wurden fast 6.000 Anträge gestellt und über 5.000 hiervon gebilligt. 25.000 Soldatinnen und Soldaten aller Teilstreitkräfte, Organisationsbereiche und Dienstgradgruppen stehen für „Hilfeleistung gegen Corona“ bereit. Hinzu kommt das medizinische Personal des Sanitätsdienstes, das nahezu vollständig eingebunden ist.

Deutschlandweit ist die Bundeswehr im Kampf gegen das Covid-19-Virus im Einsatz - von Kiel bis ins Allgäu, Köln bis Cottbus. Und auch über Deutschland hinaus unterstützt die Truppe. Beispielsweise waren Soldatinnen und Soldaten des Sanitätsdienstes für mehrere Wochen in Portugal, wo sie in einer Lissabonner Klinik eine Covid-19 Intensivstation betrieben. Das ist auch ein klares Zeichen: Europa hält zusammen. Nur gemeinsam und solidarisch kommen wir durch diese Pandemie.

Amtshilfe der Bundeswehr – vielfältig, pragmatisch, empathisch

Die Unterstützung der Bundeswehr ist vielfältig.

Zum einen leistet die Truppe logistische, organisatorische und strukturelle Hilfe bei der Eindämmung des Covid-19-Virus. Soldatinnen und Soldaten unterstützen Gesundheitsämter bei der Nachverfolgung von Infektionsketten und Reiserückkehrerinnen und -rückkehrer. Sie helfen Seniorenheimen beim Testen von Personal und Angehörigen. Sie unterstützen beim Aufbau und Betrieb von Impfzentren.

Zum anderen ist die Bundeswehr auch ganz unmittelbar gegen das Covid-19-Virus im Einsatz. Das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr erforscht das Covid-19-Virus und dessen Mutationen. In Bundeswehrkrankenhäusern werden Infizierte nach modernsten medizinischen Standards behandelt. Angehörige des Sanitätsdienstes impfen tausende Bürgerinnen und Bürger – landauf, landab, in stationären Impfzentren ebenso wie mit mobilen Impfteams. Auch die Militärmusik beteiligt sich: Musikerinnen und Musiker der Bundeswehr spielen kleine Konzerte in Pflegeeinrichtungen unter dem Motto „Musik gegen Einsamkeit“.

An vielen Stellen habe ich mir selbst einen Eindruck von der Amtshilfe der Bundeswehr gemacht. So war ich im Impfzentrum am Flughafen Berlin-Schönefeld. Die operative Leitung des Impfzentrums obliegt der Hilfsorganisation Johanniter-Unfall-Hilfe. Die Impfungen werden jedoch durch medizinisches Personal der Bundeswehr durchgeführt. Bundeswehr-Angehörige übernehmen auch einen Großteil der Organisation, beispielsweise die Betreuung der zu Impfenden. Im Gesundheitsamt in Bonn habe ich ca. 30 Soldatinnen und Soldaten besucht, die dort tätig sind. Binnen kürzester Zeit haben sie die Strukturen und Prozesse des zebis-Reihe zur Corona-Pandemie Gesundheitsamts evaluiert und für ein effektives Pandemie-Management von Grund auf neu aufgezogen.

Einsatzmedaille für Amtshilfe

Es war beeindruckend, die Soldatinnen und Soldaten in der Amtshilfe so unmittelbar zu erleben. Sie brauchen keine große Einarbeitung, sondern packen direkt mit an. Sie sind engagiert und empathisch, strukturiert und pragmatisch. Die Truppe hilft – schnell, tatkräftig, zielorientiert. Entsprechend groß ist die Wertschätzung und Dankbarkeit von zivilen Institutionen ebenso wie von Bürgerinnen und Bürgern.

Die Dimension des Amtshilfe-Einsatzes ist beispiellos. Man mag sich an vielen Stellen gar nicht vorstellen, wie es ohne die Unterstützung durch die Bundeswehr laufen würde. Deswegen würde ich es sehr begrüßen, wenn das herausragende Engagement unserer Soldatinnen und Soldaten in der Amtshilfe durch eine Einsatzmedaille ausgezeichnet wird. Das wäre eine sehr verdiente Anerkennung!

Drei Lehren aus der Pandemie und dem Amtshilfe-Einsatz

Auch wenn das Covid-19-Virus weiter wütet und die Bundeswehr immer noch gebraucht wird, so können bereits jetzt drei Lehren aus der Pandemie und dem Amtshilfe-Einsatz gezogen werden.

Erstens: Das Instrument der Amtshilfe durch die Bundeswehr gemäß Artikel 35 Grundgesetz hat sich bewährt.

Die Verfahren sind einfach und unbürokratisch. Das ist vor allem ein Verdienst des Kommando Territoriale Aufgaben, das Anträge schnell, jedoch gewissenhaft prüft und die Einsätze zusammen mit den Landeskommandos, Bezirks- und Kreisverbindungskommandos koordiniert.

Zweitens: Zivile Institutionen sind im Bevölkerungsschutz und bei der Katastrophenhilfe nicht ausreichend gut vorbereitet und aufgestellt.

Der Rückgriff auf Soldatinnen und Soldaten darf immer nur subsidiär erfolgen. Hauptaufgabe der Bundeswehr ist die Landes- und Bündnisverteidigung. Deswegen muss allen klar sein: Die Amtshilfe der Bundeswehr ist endlich. Der Zeitpunkt wird kommen und er muss kommen, wo zivile Institutionen übernehmen und ihren originären Aufgaben nachkommen müssen, damit sich die Truppe wieder ihrem Kernauftrag vollumfänglich widmen kann.

Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) Armin Schuster hat ein Papier zur Neuausrichtung des BBK erarbeitet. Auch die Fraktionen im Deutschen Bundestag haben Vorschläge zur Stärkung des Bevölkerungsschutzes zebis-Reihe zur Corona-Pandemie entwickelt. Diese sollten intensiv und breit diskutiert, entsprechende Reformen zügig auf den Weg gebracht werden.

Drittens: Die Pandemie verdeutlicht die enorme Leistungsfähigkeit der Bundeswehr.

Die Bundeswehr hält ihre Einsatzbereitschaft aufrecht. Und das zusätzlich zur Amtshilfe und trotz Covid-19-Pandemie, die auch die Truppe – wie die gesamte Gesellschaft – vor enorme Herausforderungen stellt. Übungen müssen abgesagt oder angepasst, Ausbildungen und Lehrgänge umgestellt werden. Dennoch erfüllt die Bundeswehr ihre Aufträge im In- und Ausland – auch dank Digitalisierung, die einen enormen Schub erfahren hat. Beides gleichzeitig zu stemmen – Amtshilfe einerseits, Grundbetrieb und Einsatzbereitschaft andererseits– ist eine große Leistung.

Das zeigt: Auf unsere Soldatinnen und Soldaten ist Verlass. Sie sind da, wann immer und wo immer sie gebraucht werden. Dafür gebührt ihnen unser aller Respekt, Anerkennung und Dank.

Amtshilfe aus Sicht der Truppe: Begeisterung und Freude einerseits…

Als Wehrbeauftragte interessiert mich natürlich auch und vor allem, wie Soldatinnen und Soldaten den Amtshilfe-Einsatz sehen. Was denken sie darüber? Wie fühlen sie sich? Welche Wünsche, Gedanken oder auch Sorgen haben sie? Dazu habe ich in den letzten Wochen und Monaten mit vielen Soldatinnen und Soldaten gesprochen.

Dabei habe ich festgestellt: Die Begeisterung ist nicht nur in der Bevölkerung und zivilen Institutionen groß, sondern auch in der Truppe. Soldatinnen und Soldaten identifizieren sich mit ihrem Auftrag und führen ihn mit Freude und Engagement aus.

Das hängt maßgeblich auch mit der Anerkennung und Wertschätzung zusammen, die sie bei und durch die Amtshilfe erfahren – ob von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in zivilen Institutionen, Bewohnerinnen und Bewohner in Seniorenheimen oder Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern. Sie alle sind dankbar für die Unterstützung durch die Bundeswehr.

Und: Durch den Amtshilfe-Einsatz ist die Truppe in unserem Alltag so präsent und sichtbar wie seit Langem nicht mehr. Das ist sehr erfreulich. Denn Bundeswehr und Gesellschaft gehören zusammen. Zwischen ihnen darf es keine Distanz geben. Die Amtshilfe rückt die Truppe genau dahin, wo sie hingehört: in die Mitte unserer Gesellschaft.

… Herausforderung und Belastung andererseits

Neben Freude und Begeisterung schildern mir Soldatinnen und Soldaten jedoch auch Herausforderungen und Schwierigkeiten, die der Einsatz mit sich bringt. Sie werden mitunter zebis-Reihe zur Corona-Pandemie fern der Heimat eingesetzt und sind für mehrere Wochen von ihren Familien getrennt. Nicht wenige waren schon in mehreren Einsätzen aktiv – manchmal gar direkt hintereinander.

Immer wieder berichten mir Soldatinnen und Soldaten auch sehr eindrücklich von einer großen emotionalen Belastung, die sie spüren. An vielen Stellen sind sie nämlich mit Leid, Tod und Trauer konfrontiert vor allem jene, die in Seniorenheimen und Krankenhäusern eingesetzt sind. Dort offenbart sich das ganze Ausmaß des tödlichen Virus besonders brutal.

Manche mögen einwenden, dass Soldatinnen und Soldaten solche Erfahrungen nicht fremd seien. Schließlich riskieren sie in Auslandseinsätzen ihr Leben, erleben dort Anschläge, Verwundungen und Tod. Doch ist diese Pandemie von ganz anderer Qualität. Der Feind ist ein unsichtbares, nicht zu greifendes Virus. Es schlägt wahllos und erbarmungslos zu – trifft Junge wie Ältere, Gesunde wie Vorerkrankte, Frauen wie Männer. Hunderte sterben täglich an dem Virus.

So alltäglich das Virus mittlerweile auch sein mag, den Tod und das Leid, das es verursacht, kann und wird niemals gewöhnlich sein – auch nicht für unsere Soldatinnen und Soldaten. Die Bundeswehr-Uniformen werden schließlich von Menschen getragen. Das dürfen wir nicht außer Acht lassen.

Betreuung und Begleitung im Umgang mit Leid und Tod

Deshalb wäre es angebracht, unsere Soldatinnen und Soldaten für solche Situationen zu rüsten. Sie brauchen Unterstützung, Betreuung und Begleitung – vor, während und nach Amtshilfe-Einsätzen, in denen sie solche Erfahrungen machen. Das zu gewährleisten, ist Aufgabe des Dienstherrn und gehört zu seiner Fürsorgepflicht.

Hierbei sollte der Psychologische Dienst eingebunden, entsprechend verstärkt und ausgebaut werden. Auch die Militärseelsorge könnte mit ihrer herausragenden Expertise und Erfahrung in diesem Bereich einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Bereitstellung psychologischer und seelsorgerischer Unterstützung wäre – neben einer Einsatzmedaille – eine weitere Form der Anerkennung und Wertschätzung für das, was zehntausende unserer Soldatinnen und Soldaten jeden Tag in ganz Deutschland leisten. Es wäre ein weiterer Weg, „Danke“ zu sagen für ihre großartige Unterstützung im Kampf gegen das Covid-19-Virus.

 

Zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie hat das zebis eine Reihe von Gastkommentatoren aus Wissenschaft, Kirche, Gesellschaft und Militär gewonnen. Ihre Beiträge veröffentlichen wir hier in loser Reihenfolge. Lesen Sie auch:
Teil 1: Internationale Beziehungen nach der Corona-Pandemie von Dr. Melanie Alamir
Teil 2: Beitrag von Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, Inspekteur des Sanitätsdienstes
Teil 3: Grenzen! Europa im Auge der Corona-Pandemie von Dr. Erny Gillen
Teil 4: Verantwortung in Zeiten der Corona-Pandemie von Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl
Teil 5: Ethische Herausforderungen im Kontext der Corona-Pandemie von Prof. Dr. Franz-Josef Bormann
Teil 6: Friedenssicherung in Zeiten der Pandemie. Ethische und sicherheitspolitische Konsequenzen einer neuen Bedrohung von Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl 
Teil 7: Der Corona-Pandemie zum Trotz: Die Innere Führung trägt! von Generalmajor André Bodemann, Kommandeur des Zentrums Innere Führung (ZInFü)

Auch die aktuelle Ausgabe des E-Journals „Ethik und Militär“ „Vulnerabilität und Resilienz in der Corona-Pandemie“ (online seit 1.12.2020) beleuchtet wesentliche ethische und sicherheitspolitische Aspekte der Pandemie.