Das Konzept der Inneren Führung der Bundeswehr verpflichtet den Soldaten zur Achtung der Menschenrechte, zur Fairness, Toleranz und Loyalität gegenüber demokratischer Entscheidungen. Aber wie wird die Innere Führung den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht, was genau heißt das künftig für Soldaten im Einsatz und für das neue Weißbuch 2016? Wo zeigen sich Parallelen oder auch Unterschiede zwischen dem Konzept der Bundeswehr und den Führungsstilen der freien Wirtschaft?
35 Führungskräfte aus der Bundeswehr, der freien Wirtschaft sowie Militärseelsorger trafen sich zum zebis-Studientag im Maternushaus in Köln. Im Plenum und in unterschiedlichen Arbeitsgruppen diskutierten sie Grundlagen der Inneren Führung und aktuelle Anwendungsfelder sowie die weltweiten sicherheitspolitischen Herausforderungen in Krisengebieten, mit denen das Führungskonzept konfrontiert wird.
General Jürgen Weigt weist darauf hin, dass jede militärische Führungspersönlichkeit das Konzept der Inneren Führung individuell verinnerlichen und umsetzen muss. In seinem Vortrag „Soldat sein denken – Innere Führung als Denk-Partner“ betont er, dass jeder Soldat seine eigene Vorstellung von der Umsetzung Innerer Führung hat und versteht diese auch als Einladung zur Selbstreflektion wie man als militärische Führungskraft sein will. Nur durch eigene Reflektionsfähigkeit könne sich Innere Führung wirklich weiterentwickeln und dennoch gäbe es durch das Recht, politische Vorgaben und den verpflichtenden Wertekanon der Inneren Führung Grenzen des eigenen Handelns.
Prof. Dr. Detlef Aufderheide, Professor für Wirtschaftsethik und strategisches Management benennt in seinem Vortrag „Führungsethik aus der Sicht des Wirtschaftsethikers“ diverse Führungsstile wie den autoritären, patriarchalischen und partizipativen. Als grundlegende ethische Orientierung empfiehlt er auch für die Wirtschafts- und Unternehmensethik die „Goldene Regel“ wie sie im Alten Testament und später im Kategorischen Imperativ von Immanuel Kant aufgeführt ist: „Alles was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch“. Dieser Wert muss auf jede individuelle Handlungssituation angepasst werden, wie etwa in durch Zeitdruck entstandenen Konfliktsituationen. Auch hier sollte von ethischen Grundregeln nicht übereilt abgewichen, sondern mithilfe einer Urteilsanalyse passende Rahmenbedingungen entwickelt werden. Gleichzeitig betont er, weniger in „Entweder-oder-Entscheidungen“ zu agieren, denn Professionalität umfasse nicht nur die taktischen, sondern auch die strategischen Fragen.
Nicht wenige Führungskräfte erklimmen nach ihrer Bundeswehrzeit die Karriereleiter der freien Wirtschaft. Ein Grund dafür ist, dass in der Bundeswehrausbildung Führung und ihre konkrete Ausübung einen zentralen Bereich der Ausbildung darstellt. Eine solche Biographie bringt Norbert Kolvenbach, Vizepräsident Public Affairs Germany der Airbus Group mit, der als Oberst i.G. von der Luftwaffe in die freie Wirtschaft gewechselt ist. Zum Thema „Führung und Führungsverantwortung aus der Perspektive globaler Wirtschaftsakteure“ gewährt er Einblicke in die Unternehmensethik von Airbus. Das Ergebnis seiner Arbeitsgruppe zeigt, so Kolvenbach, "dass es eigentlich keine Riesenunterschiede gibt“. Letztlich ginge es darum, die Menschen mitzunehmen und selbst vorbildlich zu handeln. Die Gefährdung von Unternehmen durch nicht-ethisches Handeln verdeutliche sich aktuell am VW-Skandal und Kolvenbach warnt, "bereits ein kleiner Pickser kann ausreichen, eine Firma und deren Angestellten auf Jahre zu schädigen". In einem internationalen Unternehmen wie Airbus treffen verschiedene kulturelle Führungskonzepte aufeinander, die in der Praxis laut Kolvenbach harmonisch miteinander in Einklang gebracht werden müssen.
Ethisches Führungsverhalten wirft in der freien Wirtschaft und Bundeswehr viele Fragen auf. Welche Einflüsse darauf sollten Soldaten generell zulassen? In seiner Arbeitsgruppe „Führen im Einsatz“ fragt Oberst André-Michael Abed danach. Es besteht Konsens darüber, dass Vorgesetzte, der Geführte selbst, Gewissen, Moral und das Recht für das ethische Führungsverhalten eine maßgebliche Rolle spielen. Auch bei der Frage nach dem Einfluss von multinationalen Einsätzen und ihrer Anwendung auf die Innere Führung gilt es, diese den Rahmenbedingungen anzupassen, jedoch den Kerngedanken der Inneren Führung, so Abed grundsätzlich weiter zu folgen.
Soldaten brauchen einen Werte-Kompass, gerade unter den derzeitigen Herausforderungen. Prof. Dr. Thomas Elßner betont hierzu in seiner Arbeitsgruppe, wenn internationale Sicherheitspolitik und Innere Führung zueinander in Beziehung zu setzen sind, so ist es für ihn eine Aufgabe staatlicher Politik, den Soldatinnen und Soldaten, die vom Parlament in Auslandseinsätze entsandt werden, präzise zu erläutern, welche politischen Ziele mit dem jeweiligen Auslandseinsatz insgesamt verknüpft sind.
Politik und Berlin - derzeit wird hier das sechste Weißbuch für die Bundeswehr geschrieben. Es ist eine Veröffentlichung des Bundesverteidigungsministeriums, welche für die kommenden Jahre die sicherheitspolitische Situation der Bundesrepublik Deutschland und der Verbündeten illustriert und daraus Schlussfolgerungen für die Aufgaben und Entwicklung der Bundeswehr und deren Personalstärke, Ausrüstung und Ausbildung zieht.
Die Themen Weißbuch und Innere Führung zeigen wie aktuell diese Prozesse derzeit in der Bundeswehr sind. Was der Soldat konkret von der Politik in Sachen neues Weißbuch und Innere Führung erwartet, erarbeitet Dr. Matthias Gillner in der vierten Arbeitsgruppe. Offen sprachen Führungskräfte der Bundeswehr darin ihre persönlichen Wünsche aus. Die Erwartungshaltung der Teilnehmer konzentrierte sich auf folgende Ziele der Inneren Führung: einmal die Legitimation und die Integration sowie den Wirkungsbereich der Traditionspflege. Gewünscht wurde grundsätzlich, dass der Adressat der Inneren Führung, also die Streitkräfte und die gesamte Bundeswehr, die Begriffe bezüglich Selbstbild, Selbstverständnis, Berufsbild und Leitbild eindeutiger formuliert wissen will. Außerdem sollte die Akzeptanz der Inneren Führung bei den Soldaten sowie deren Weiterentwicklung wissenschaftlich untersucht und begleitet werden. Bei der Frage der Legitimation sollte der völkerrechtliche Rahmen und die moralische Begründung eines Einsatzes der Bundeswehr von der Politik eindeutiger benannt werden. Nur so könne sich ein Soldat nach innen transparent und authentisch führen und seinen Einsatz in der Gesellschaft vernünftig begründen.
Mehrheitlich betrachten die Teilnehmer die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft als nicht abgeschlossen. Es bestand Einigkeit darüber, dass nicht nur die Gesellschaft an den Aufgaben der Bundeswehr und dem Leben von Soldaten weitgehend desinteressiert, sondern auch der Soldat als solcher im gesellschaftlichen Leben wenig verankert sei. Diesem sich wechselseitig verstärkenden Trend könnte mit entsprechenden Rahmenbedingungen für eine stärkere Vergesellschaftung von Soldaten entgegengewirkt werden. Daneben müssen gleichzeitig die Veränderungen von Selbstbild und Selbstverständnis junger Menschen wahrgenommen, respektiert und berücksichtigt werden. Dies verlangt eine größere Offenheit bei der Auswahl des Personals. Der offizielle Umgang beispielsweise mit "Tattoos" gilt immer noch als problematisch.
Angesichts des Grundsatzurteils des Bundeswehrverwaltungsgerichts zu den Grenzen der Gehorsamspflicht aus dem Jahre 2005, wäre es hilfreich, Grund und Grenzen des Prinzips von Befehl und Gehorsam gerade im Rahmen militärischer Einsätze gründlich im neuen Weißbuch 2016 aufzuführen.
In der Arbeitsgruppe wurde darüber hinaus die Notwendigkeit ethischer Bildung von Streitkräften hervorgehoben und diese sogar explizit gewünscht. Sie solle jedoch nicht nur proklamiert, sondern durch deren Realisierung in möglichst vielen Kontexten der Bildung und Ausbildung von Soldaten etabliert werden. Insofern freut sich das zebis mit dem Kölner Studientag, einen weiteren Impuls zu militärischer Führungsethik gesetzt zu haben.
Autorin: Gertrud Maria Vaske
Fotos: Saskia Frieber
Kommandeur Zentrum Innere Führung der Bundeswehr, zahlreiche Führungs- und Ministerialverwendungen in den Streitkräften sowie Teilnahme an verschiedenen Einsätzen der Bundeswehr im Rahmen von Nato- und UN-Mandaten, u.a. im ISAF Headquarter in Afghanistan.
Professor für Wirtschaftsethik und strategisches Management an der Hochschule Bremen, Gründungsinhaber des Dr. Jürgen Meyer Stiftungslehrstuhls für Internationale Wirtschaftsethik an der Hamburg School of Business Administration, zahlreiche Publikationen u.a. zur Wirtschafts- und Unternehmensethik.