Hamburg - 20.09.2025

Impulse zum Bibeltext Jesaja 9,1-6

Impuls gesprochen von Dr. Veronika Bock im Rahmen der Nacht der Kirchen 2025, „Lichtblicke und Hoffnungsleuchten“ am 20. September 2025 im St. Marien-Dom Hamburg

1 Das Volk, das im Dunkel lebt, / sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, / strahlt ein Licht auf. 2 Du erregst lauten Jubel / und schenkst große Freude. Man freut sich in deiner Nähe, / wie man sich freut bei der Ernte, / wie man jubelt, wenn Beute verteilt wird. 3 Denn wie am Tag von Midian zerbrichst du das drückende Joch, / das Tragholz auf unserer Schulter und den Stock des Treibers. 4 Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, / jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist, / wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers. 5 Denn uns ist ein Kind geboren, / ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; / man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, / Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. 6 Seine Herrschaft ist groß, / und der Friede hat kein Ende. Auf dem Thron Davids herrscht er über sein Reich; / er festigt und stützt es durch Recht und Gerechtigkeit, / jetzt und für alle Zeiten. Der leidenschaftliche Eifer des Herrn der Heere / wird das vollbringen.

Es gibt viele Bilder, die unsere Gegenwart beschreiben.
Eine Welt in Unordnung.
Eine Welt im Umbruch.
Eine Welt, die aus den Fugen geraten ist.

Diese Bilder stehen für Krisen und Kriege, die sich weltweit überlagern.
Wir erleben den brutalen völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine:
Gezielte Zerstörung ziviler Infrastruktur. Angriffe auf unschuldige Menschen. Schwerste Menschenrechtsverletzungen.

 

Die jüngsten Eskalationen: Drohnen auf polnischem Territorium, russische Kampfjets über Estland.

Es geht längst nicht nur um die Ukraine.

Es ist ein Krieg, der Europa bedroht und die Fundamente der internationalen Ordnung infrage stellt.

Wir sehen auch den nicht enden wollenden Krieg im Nahen Osten.
Unvorstellbares Leid für die Menschen im Gazastreifen.
Schmerz und die Hoffnungslosigkeit bei den Angehörigen der Geiseln.
Und die Traumata der Überlebenden des Hamas-Angriffs.

 

Auch hier kein erkennbarer politischer Wille zu Friedensverhandlungen, keine Perspektive auf Frieden.
Stattdessen eine gefährliche Eskalation und Destabilisierung der gesamten Region.

 

Viel zu sehr in Vergessenheit geraten ist der brutal geführte Bürgerkrieg im Sudan.
Mehr als 14 Millionen Menschen sind dort auf der Flucht.
Die Vereinten Nationen sprechen von der größten humanitären Krise unserer Zeit.

Dazu kommen die schon jetzt spürbaren Auswirkungen des Klimawandels.

 

Und politische Polarisierungen, Beschneidungen der Meinungs- und Pressefreiheit, die selbst in scheinbar stabilen Demokratien zunehmen.

Hinter all dem steht die Gefahr, dass die Stärke des Rechts durch das Recht des Stärkeren verdrängt wird.

 

Wir leben in einer Art Zwischenzeit.
Die alte internationale Ordnung trägt nicht mehr.
Neue Strukturen sind noch nicht sichtbar.
Und so stehen wir nicht nur vor einer Krise – sondern vor Krisenlandschaften.
Sie sind komplex, miteinander verwoben und nur gemeinsam, nur global zu bewältigen.

 

Der biblische Text aus Jesaja 9 bietet einen Deutungsrahmen.
Er spricht von Dunkelheit – und von Hoffnung auf Licht.

Dunkelheit steht für Bedrohung, Chaos, Orientierungslosigkeit.
Licht dagegen für Ordnung, für Rettung, für neue Ausrichtung.

Dieses Licht ist keine menschliche Leistung.
„Es strahlt auf“ – als Gabe.
Nicht, indem es die Nacht negiert, sondern indem es Orientierung schenkt, mitten im Dunkel.

Jesaja beschönigt die Gewalt nicht.
Aber er verfällt auch nicht in Resignation.
Er nimmt die Finsternis ernst und hält zugleich an der Hoffnung fest.

Was bedeutet das für die christliche Friedensethik?

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg.
Frieden ist ein fragiler Prozess, der immer wieder neu ausgehandelt, geschaffen und gesichert werden muss.

Durch Gewaltminimierung, Bindung an Recht, Gerechtigkeit, Dialog, Verständigung und Versöhnung.

Ausgangspunkt sind die Prinzipien der christlichen Sozialethik: die Würde jedes Menschen, Freiheit, globale Gerechtigkeit, Solidarität und ein Weltgemeinwohl.

Die Anwendung dieser Prinzipien ist kontextabhängig, nie einfach – und im konkreten Interessenausgleich oft konflikthaft.

Zwischen einem naiven Pazifismus, der die Realität der Gewalt negiert, und einem zynischen Militarismus, der Gewalt normalisiert, gilt es, verantwortliche Abwägungen zu treffen.

Die christliche friedensethische Tradition bietet dafür Kriterien:
den gerechten Grund,
die legitime Autorität,
die rechte Intention,
das Prinzip der Verhältnismäßigkeit,
den Schutz der Nichtkombattanten
und die Ultima ratio – also den Einsatz militärischer Gewalt, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind.

Es gibt Situationen, in denen militärische Gewalt notwendig sein kann:
zur Selbstverteidigung,
zum Schutz unschuldiger Menschen.
Aber sie ist streng an Kriterien gebunden.

Leitend bleiben die Prämissen des gerechten Frieden:

Ein Mehr an globaler Gerechtigkeit, ein Mehr an menschenrechtsfördernden Strukturen – führt zu mehr Frieden. Der biblisch bezeugte Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden – Justitia et Pax.

Das Friedenswort der deutschen Bischöfe vom Frühjahr letzten Jahres trägt den Titel „Friede diesem Haus“.
Es erinnert uns daran: Frieden ist Kernauftrag der Kirche.
Nicht nur nach innen, sondern auch in ihrem öffentlichen Zeugnis.

Als weltumspannende Gemeinschaft heißt dies:

der Einsatz für internationale Rechtsordnungen,
die Stärkung multilateraler Institutionen und fairer Wirtschaftsbeziehungen,
das Engagement im Bereich ziviler Konfliktprävention und -transformation,
sowie Förderung menschenrechtsorientierter Strukturen.

Und es heißt auch: Wertehaltungen, Tugenden leben!
Wahrhaftigkeit, Mitgefühl, Mut.

Überträgt man die Bilder von Finsternis und Licht aus Jesaja auf unsere Gegenwart, lassen sich drei Dimensionen benennen:

Wahrheit.
Finsternis zeigt sich in Chaos, in Propaganda, Desinformation und Lüge.
Licht bedeutet Unterscheidungskraft – die Fähigkeit, Fakten von Mythen zu trennen und berechtigte Angst von instrumentalisierter zu unterscheiden.

Recht.
Finsternis ist Gewalt, die Grenzen mit Waffengewalt verschiebt – einfach, weil man es kann.
Licht ist die Bindung an das Völkerrecht, an Menschenrechte, an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das sog. Unterscheidungsgebot – und damit den Schutz der Zivilbevölkerung.

Die innere Haltung.
Finsternis ist Ohnmacht, Zynismus, Abstumpfung.
Licht ist Hoffnung – die Kraft, handlungsfähig zu bleiben.
In politischer Verantwortung.
In konkreter Hilfe.
Im Gebet.

 

Hoffnung bedeutet nicht, dass alles Dunkle verschwindet.
Hoffnung bedeutet: Das Vertrauen darauf, dass das Licht letztlich stärker ist als die Finsternis.

Hoffnung anerkennt, dass die Zukunft unverfügbar ist.
Wir haben sie nicht in der Hand.
Aber wir können dennoch Verantwortung übernehmen.

Die Bibel kennt diese Hoffnung aus Erinnerung und Verheißung:
Tod und Auferstehung.
Das Dunkel wird nicht ausgeblendet – sondern durchschritten.

So verstanden ist Hoffnung eine Tugend der Mitte.
Zwischen der Hybris der Machbarkeit und der Resignation, dem Fatalismus.

 

Hoffnung ist Demut, Beharrlichkeit und Mut.

Jesaja verheißt nicht, dass die Nacht vorbei ist.
Aber er verheißt ein helles Licht.
Ein Licht, das Orientierung gibt.

Und das ist die Aufgabe für uns heute:
Nicht Illusion, sondern tragfähige Maßstäbe.
Nicht Weltflucht, sondern Verantwortung.
Nicht Resignation, sondern Klarheit, die zum Handeln befähigt!