Hamburg - 10.06.2025

„Das analoge Zeitalter auf dem Gefechtsfeld ist vorbei“

Vizeadmiral Dr. Thomas Daum führt als Inspekteur CIR aus seinem Kommando in Bonn den Kampf in der Dimension CIR und treibt mit seiner Teilstreitkraft die Digitalisierung der Bundeswehr voran.

Weshalb wir bereits im Frieden täglich einen Abwehrkampf führen, warum die Bundeswehr digital kriegstüchtig werden muss, um im Gefecht zu bestehen – und was die Teilstreitkraft Cyber- und Informationsraum dazu beiträgt.

Deutschland steht unter Beschuss. 24 Stunden pro Tag, 7 Tage in der Woche. Nicht von Panzern, nicht von Schiffen oder Flugzeugen, sondern durch Cyberangriffe, Desinformationskampagnen und Störungen im elektromagnetischen Umfeld, beispielsweise bei GPS.

Das ist die neue Realität: Auch ohne dass wir uns im Krieg befinden, versuchen ausländische Mächte uns zu schaden, geheime Informationen zu erbeuten, Zugriff auf unsere kritische Infrastruktur (KRITIS) wie Elektrizitäts- und Wasserwerke zu erlangen, unseren Flug- und Schiffsverkehr zu stören – und zugleich unseren Zusammenhalt als Gesellschaft zu schwächen, unser Vertrauen in das Funktionieren des Staates und seiner Behörden zu untergraben, unseren Willen zu brechen, zu unseren Werten und zu unseren Verbündeten zu stehen.

Deutschland muss sich wehren gegen solche hybriden Angriffe im Cyber- und Informationsraum (CIR), das ist eine gesamtstaatliche Herausforderung. Die Bundeswehr besitzt nun eine Teilstreitkraft CIR, um auf diesem neuen militärischen Gefechtsfeld bestehen zu können. Nicht nur in den Konflikten, die noch kommen werden – sondern vor allem in den Konflikten, die bereits angebrochen sind.

Die grenzenlose Dimension

Der CIR unterscheidet sich grundlegend von den „traditionellen“ militärischen Dimensionen Land, Luft und See, denn er kennt keine geographischen Grenzen und Angriffe können binnen Millisekunden auf der anderen Seite des Globus wirken. Herauszufinden, wer hinter einem solchen Angriff steckt, ist schwierig und langwierig, zumal unsere Gegner verschleiert vorgehen und häufig auf Hacker-Gruppen und Troll-Fabriken zurückgreifen, die nicht notwendigerweise in offizieller Verbindung zu einer Regierung stehen.

Für uns als Verteidiger stellt sich die Herausforderung, dass bei solchen Angriffen eine klare Abgrenzung zwischen innerer und äußerer Sicherheit nicht mehr möglich ist. Deshalb engagieren wir uns beispielsweise in der Operationszentrale des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und im Nationalen Cyber-AbwehrZentrum (Cyber-AZ) als ressortübergreifendem Projekt. 

Denn mit unserem Zentrum für Cyber-Sicherheit (ZCSBw) übernehmen wir zwar sehr erfolgreich Verantwortung für den Schutz aller IT-Systeme der Streitkräfte, jedoch kann die Verteidigung Deutschlands im CIR nur als gesamtstaatliche Anstrengung gelingen. Für echte Resilienz muss jeder und jede Einzelne, ebenso wie sämtliche Ministerien, Behörden, Unternehmen und besonders KRITIS-Einrichtungen mitziehen. Als Marineoffizier spreche ich daher gerne von einem „Alle-Manns-Manöver“.

Der Kampf im CIR

Die Angriffe, die wir täglich im CIR erleben, bewegen sich bislang unterhalb der Schwelle militärischer Gewaltanwendung; falls es jedoch zum offenen Konflikt, zum Krieg mit dem Auslösen der Landes- oder Bündnisverteidigung kommen sollte, sind wir ebenso gewappnet: Das Kommando CIR in Bonn führt dann als Cyber and Information Domain Component Command (CIDCC) den Kampf im CIR mit sogenannten CIR-Operationen

Um beispielsweise gegnerische Desinformation zu kontern, erstellen Kräfte des Zentrums Operative Kommunikation (ZOpKomBw) Medienprodukte aller Art, die die Meinungen und letztlich das Verhalten gegnerischer Streitkräfte oder der Bevölkerung im Einsatzland in unserem Sinne beeinflussen sollen. Expertinnen und Experten vom Zentrum Cyberoperationen (ZCO) dringen in feindliche IT-Systeme ein, um sie lahmzulegen oder Erkenntnisse über das gegnerische Vorgehen zu sammeln. Soldatinnen und Soldaten der Elektronischen Kampfführung (EloKa) täuschen den Feind durch Falschsignale oder stören seinen Funkverkehr. Die Teilstreitkraft CIR kämpft also in allen Komponenten „ihrer“ Dimension: im Informationsumfeld, im Cyberraum und im elektromagnetischen Spektrum.

Das gläserne Gefechtsfeld

Gerade die EloKa ist heute unverzichtbar, denn im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erkennen wir, dass das gläserne Gefechtsfeld keine Zukunftsmusik, sondern bereits Alltag ist: Durch Drohnen in großer Zahl haben beide Seiten ihre Augen sprichwörtlich überall. Dank flächendeckender Anbindung werden Drohnenbilder in kürzester Zeit ausgewertet und zur Zielzuweisung für die Artillerie genutzt.

Die Konsequenz für den militärischen Führer vor Ort ist fatal: Ihm bleibt kaum Zeit, die Lage zu verstehen, einen Entschluss zu fassen und seine Truppe entsprechend zu befehligen. Eigene Kräfte der EloKa verschaffen ihm zwar Zeit, indem sie die von Drohnen genutzten Frequenzen stören und den Gegner auf diese Weise temporär blind machen - um auf dem gläsernen Gefechtsfeld wirklich siegfähig zu sein, reicht das aber nicht aus.

Die Beschleunigung der Kill Chain

Wir stehen mit dem Gegner in einem Wettlauf entlang der Kette vom Sensor, der einen Feind entdeckt, über den Entscheider, der den Einsatz führt, bis zum Effektor, der das Ziel schließlich bekämpft. Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir diese Kette, die sogenannte Kill Chain, beschleunigen. Das Ziel: schneller Bescheid wissen, bessere Entscheidungen treffen, den Gegner schlagen – oder militärischer: Informationsüberlegenheit führt zu Führungsüberlegenheit und letztlich zu Wirkungsüberlegenheit. Klassisch gilt schon immer: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt den Feuerkampf.

Der Weg zu diesem Ziel heißt Multi Domain Operations (MDO): Mit einer durchgehenden digitalen Anbindung werden alle Sensoren, von der Drohne in der Luft bis zum Soldaten auf dem Gefechtsfeld, vernetzt und tragen zu einem gemeinsamen Echtzeit-Lagebild bei. Auf dieser Grundlage kann die Führung dann das geeignetste militärische Mittel für den gewünschten Effekt auswählen und beauftragen.

Die Voraussetzungen liefert die Teilstreitkraft CIR: Soldatinnen und Soldaten des Militärischen Nachrichtenwesens (MilNW) sammeln beispielsweise mit Satellitenaufklärung oder dem Abhören von Funkverkehr Informationen über den Gegner und fassen sie im Joint Intelligence Center (JIC) mit den Erkenntnissen der Sensoren von Heer, Luftwaffe und Marine zu einem aktuellen, streitkräftegemeinsamen Lagebild zusammen – denn nur wer Position, Stärke und Absicht des Feindes kennt, kann ihm einen Schritt voraus sein.

Für das Übermitteln dieser Informationen sorgen unsere IT-Kräfte. Beispielsweise mit Satellitenkommunikation und Bündelfunk gewährleisten sie, dass die Bundeswehr im Einsatz abhörsicher kommuniziert.

Dabei sind sowohl für die Aufklärung als auch für die Kommunikation Satelliten entscheidend. Mit ihnen leisten wir im CIR die Einsatzunterstützung aus dem Weltraum (EinsUstgWR) für die Bundeswehr.

Die Treiber der Digitalisierung

Für die Vernetzung aller Sensoren und Effektoren im Gefecht ist allerdings noch mehr nötig: So wird eine Bundeswehr-Cloud den Datenaustausch der Streitkräfte optimieren - und weil Daten nicht in den Wolken, sondern ganz irdisch auf Servern liegen, wird diese Cloud durch einen Rechenzentrumsverbund (RzV) realisiert.

Um miteinander zu reden, bedarf es neben einem Kanal aber auch einer gemeinsamen Sprache. Das gilt auch für Waffensysteme; das Konzept von Software Defined Defence (SDD) stellt daher in den Vordergrund, in einheitlichen Datei-Formaten über standardisierte Schnittstellen zu kommunizieren und so ein übergreifendes System zu bilden. Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) wird dabei schließlich zum wahren Beschleuniger, denn beispielsweise bei der Auswertung umfangreicher Sensordaten erreicht sie ein Vielfaches der menschlichen Leistungsfähigkeit.

Dank weiterer Vorhaben von der nächsten Stufe unserer Satellitenkommunikation (SatComBw) über das Tactial Wide Area Network (TaWAN) und den Kurzwellen-Kommunikationsverbund (KwKomVb) bis hin zum Projekt Digitalisierung landbasierter Operationen (D-LBO) erreichen wir in den kommenden Jahren einen durchgängigen Informations- und Kommunikationsverbund, der vom Rechenzentrum in Deutschland bis zum Gefechtsfahrzeug im Einsatz reicht - eine sogenannte Ende-zu-Ende-Verbindung (E2E).

Vorangetrieben wird all dies im Zentrum Digitalisierung der Bundeswehr und Fähigkeitsentwicklung CIR (ZDigBw). Hier sitzen die Architektinnen und Architekten der digitalen Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr und erschließen ingenieurmäßig neue Technologien, die helfen werden, den Wettlauf auf dem gläsernen Gefechtsfeld zu gewinnen.

Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt den Feuerkampf. Das stimmte vor 100 Jahren – und das stimmt auch heute. Doch heute braucht es dazu vor allem Vernetzung, denn schneller schießt nur, wer die Kette vom Sensor über den Entscheider bis zum Effektor schneller durchläuft. 

Die Teilstreitkraft CIR ist daher bereit, das Gefecht in ihrer Dimension zu führen und so Deutschland im CIR zu verteidigen. Zugleich machen wir die Bundeswehr gemeinsam mit den anderen Teilstreitkräften und Organisationsbereichen digital kriegstüchtig, damit wir auch in Zukunft technisch siegfähig bleiben. Denn nur dann bieten wir eine glaubhafte Abschreckung, die unsere Gegner davor zurückschrecken lässt, uns überhaupt erst herauszufordern.