Hamburg - 29.05.2020

Erwartungen der Bundeswehr an die ethische Bildung 

Brigadegeneral Robert Sieger

Vortrag im Rahmen des Symposiums Ethische Bildung in der Bundeswehr – Aufgaben, Möglichkeiten, Grenzen am 22.10.2020
Veranstaltungsdokumentation

I Jo, was geht? 

Jo, was geht? Eine Begrüßung zwischen zumeist Jüngeren, innerhalb und außerhalb der Bundeswehr. Eine Begrüßung, die aus meiner Sicht im übertragenen Sinne zumindest inhaltlich den Kern der heutigen Veranstaltung trifft. Was geht? Und was geht nicht? Woher weiß ich das? Woran kann ich mich orientieren? Was wird von mir erwartet? Was darf ich – aber auch – was muss ich von anderen erwarten? Wie komme ich zu diesem Urteilsvermögen? Warum ist dies gerade für uns Angehörige der Bundeswehr – ob in Uniform oder ohne so bedeutsam? Wichtige Fragen, auf die wir heute Antworten finden wollen.  Meine Damen und Herren,

herzlichen Dank für die Gelegenheit als Beauftragter des Generalinspekteurs der Bundeswehr für Erziehung und Ausbildung hier und heute zum Thema „Erwartungen der Bundeswehr an die ethische Bildung“ sprechen zu können.

Ich tue das sehr gerne, da wir uns zu verschiedenen anderen Anlässen gerade auch in der Entstehungsgeschichte der neuen Vorschrift „Ethische Bildung in der Bundeswehr“ ausgetauscht haben. Ich tue das auch deshalb sehr gerne, da wir uns nicht nur, aber sicherlich auch durch CORONA mitten in einer ethisch und moralisch fordernden Zeit befinden. Eine Zeit, die wie durch ein Brennglas unmittelbar und vor der eigenen Haustür den Wert und das Potenzial der Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen in unserer Gesellschaft unterstreicht. Ich komme darauf an anderer Stelle noch einmal zurück.

Hier und heute geht es um die Ethische Bildung in der Bundeswehr. Ein Bildungsfeld, das als Bestandteil der Konzeption der Inneren Führung seit Gründung der Bundeswehr Relevanz besitzt. Ein Feld, dem sich viele der hier im Raum oder virtuell Anwesenden seit Jahren widmen. Und das durch die unterschiedlichen Phasen seit Gründung der Bundeswehr immer wieder – einem Konjunkturzyklus gleichend – mehr oder weniger im Fokus stand: von der Wiederbewaffnung über unterschiedliche Doktrinen – insbesondere der nuklearen Abschreckung – über die Armee der Einheit, der Erstteilnahme deutscher Soldaten an Auslandseinsätzen, damit verbundene Fragestellungen wie z.B. dem Umgang mit Kindersoldaten, den Umgang mit Werten und Normen anderer Kulturkreise. 

In diesem Jahr hat sich zum 10. Mal das Karfreitagsgefecht in Afghanistan gejährt. Es steht für eine prägende und sehr intensive Phase deutscher Einsatzrealität, in der ethische Fragestellungen zunehmend an Bedeutung gewannen. 

Auch die Debatte über bewaffnete Drohnen berührt ganz grundsätzlich Fragen von Moral und Ethik.  

Soldat oder Soldatin zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere. Angehörige oder Angehöriger der Bundeswehr zu sein, nach meiner Bewertung gleichfalls etwas Besonderes. Wenn ich also heute über die Erwartungen der Bundeswehr an die Ethische Bildung spreche, dann sicherlich aus mehreren Blickwinkeln:

  1. Wozu eigentlich Ethische Bildung?
  2. Mit welchen Zielen und Inhalten sollen diese Erwartungen erfüllt werden? 
  3. Wer soll mit welcher Rolle in der Durchführung helfen?
  4. Was können Kriterien für den Erfolg ethischer Bildung sein Dabei bin ich mir der Aufgabe bewusst: 
  • Ich spreche als Truppenmensch und nicht als Experte – unter Ihnen sind jedoch Experten von beachtlicher Reputation.
  • Ich biete keine abschließenden und alles umfassende Gedanken, dafür den ein oder anderen Impuls,
  • und ich spreche in meiner Funktion. Hier in Hamburg, wie im virtuellen Raum sind mit Blick auf die Verantwortlichkeiten und die Durchführung ethischer Bildung naturgemäß unterschiedliche Interessenlagen zu finden. Das hat die Entstehungsgeschichte der neuen Vorschrift gezeigt.

Aber vielleicht sind unterschiedliche Interessenlagen auch nur perspektivisch. In jedem Fall sind sie sehr wichtig, um dies vorweg zu stellen. Denn Ethische Bildung ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

Bottom Line up front – Kernbotschaft vorweg – Bleiben Sie bitte dennoch bis zum Ende dabei! 

Ethische Bildung muss der Truppe etwas bringen. Dem Einzelnen wie dem Team, dem Stab wie der Linie, den einzelnen Dienststellen. Wesentliches Kriterium dafür ist die Akzeptanz von Bildung, nicht allein das Erkennen der Notwendigkeit oder ein lautes Jawohl. Akzeptanz bei der Zielgruppe, Akzeptanz bei deren Vorgesetzten, Akzeptanz aber auch bei allen Beteiligten in Stäben, Kommandobehörden, Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen. 

Wir alle – die verantwortlichen Vorgesetzten, die Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, Militärseelsorge und Kirchen, interne und externe Bildungsträger und Bildungspartner, das zebis – wir alle können und werden daran einen wichtigen Anteil haben.

 

II In diesem Jahr jährt sich zum 70. Mal die Geburtsstunde der Himmeroder Denkschrift. 

Diese Denkschrift – vor 70 Jahren im Eifelkloster Himmerod verfasst – gilt zu Recht als eines der Gründungsdokumente der späteren Bundeswehr und der Inneren Führung. In der Denkschrift findet sich ein bemerkenswerter Satz. Dort heißt es: „Ebenso wichtig wie die Ausbildung des Soldaten ist seine Charakterbildung und Erziehung.“ Heute würden wir vielleicht dazu Persönlichkeitsbildung sagen. Und die Frage muss erlaubt sein: gilt das unverändert? 

Warum ist Persönlichkeitsbildung, damit politische, historische und insbesondere ethische Bildung gerade heute unverzichtbar? Schließlich haben wir es doch in der Freiwilligenarmee mit erwachsenen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zu tun. Bei den Beginnern in der Bundeswehr noch dazu mit formalen Bildungsabschlüssen, die uns von anderen Armeen positiv unterscheiden.

Warum also Personlichkeitsbildung? Die Antwort liegt auf der Hand: Weil es in unserer zunehmend komplexer und schneller werdenden Welt einen immer größeren Orientierungsbedarf gibt. Für jeden Einzelnen von uns. Viele vermeintlich einfache Antworten stehen dabei auch neben intellektuell vorgetäuschten oder offen verpackten dumpfen Ansichten. 

Weil wir es insbesondere mit fehlenden Gewissheiten zu tun haben – national wie international auf dem großen politischen oder sicherheitspolitischen Parkett – wo geht es hin, wie wird es dabei mir ergehen? Fehlende Gewissheiten aber auch vor der eigenen Haustüre, für mich ganz persönlich, z.B. was ist richtig und was nicht, was stimmt und was ist falsch. Was tut man oder was unterlässt man, welchen Werten sind wir verpflichtet, und welche Tragkraft oder Bindungswirkung entfalten diese Werte in Zeiten globaler Unsicherheiten. Genauso fehlende Gewissheit innerhalb einer Gruppe mit Blick auf gebotene oder verbotene Handlungsweisen, bzw. eine fehlende Übereinkunft innerhalb dieser Gruppe. 

In einer Zeit, in der Meinungsvielfalt in extremis bis hin zu fake news, social media, influencer, an Flachheit nicht zu unterbietende TV-Sendungen und viele weitere Einflüsse auf uns einprasseln, beginnt es nicht erst bei den Worten Ethik und Moral, und was wir darunter verstehen wollen. Es beginnt mit fehlenden Gewissheiten, möglichweise fehlendem Konsens.

Kurzum: Es gibt einen großen Orientierungsbedarf.

 

III Wozu Ethische Bildung?

Aufgabe der ethischen Bildung in der Bundeswehr ist es, das Bewusstsein für die ethische

Dimension von „Tun und Unterlassen“ zu schärfen sowie zur Entwicklung und Steigerung von Gewissensbildung, Handlungskompetenz und Handlungssicherheit beizutragen. Dazu eine Passage aus der Tagebuchaufzeichnung „Hinterhalt am Baghlan River in Afghanistan“ von Hauptmann Mike Zimmermann, dem Kompaniechef der 3. / Quick Reaction Force 5.

„Feuer, Feuer Feuer! Stellungen halten und Feind vernichten! Alles wird gut. Immer wieder gebe ich diesen Befehl, sage ihn persönlich oder gebe ihn per Funk weiter, damit alle Soldaten und Führer wissen, dass ihr Kompaniechef noch da ist. Diese Augen, diese Angst, diese Hoffnung und dieser Mut meiner Männer und Frauen zeigen mir, dass ich bei klarem Verstand sein muss, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Nur was ist richtig? Was ist gut oder schlecht?“ Plötzlich meldet der Beobachtungsoffizier, dass sich Frauen und Kinder in der der Nähe der Kämpfer aufhalten. Menschliche Schutzschilde. Ich blicke in die Gesichter meiner Männer, die mich fragend ansehen: „Warum nicht, Herr Hauptmann? Sollen wir lieber sterben?“ Auch wenn ich selbst nicht mehr daran geglaubt habe, aber sie verstehen es – obwohl es ihnen anfangs schwerfällt. Soll ich also Frauen und Kinder schützen und meine Männer opfern oder soll ich Frauen und Kinder opfern, um meine Männer zu schützen? Hätte ich an diesem Tag gewusst, dass ich fast genau auf den Tag einen Monat später in meinem eigenen Fahrzeug angesprengt werden würde, und zwar vermutlich von genau denselben Männern, die uns an diesem Tag beschossen, dann hätte ich vielleicht nicht gezögert. Aber wir sind, was wir sind, und treffen unsere Entscheidungen, ohne zu wissen, was die Zukunft bringen wird.“

Wie viele Beispiele davor und danach beschreibt diese Tagebuchaufzeichnung die Notwendigkeit und den Mehrwert von Persönlichkeitsbildung für Soldatinnen und Soldaten. Genau das ist das Ziel: ein gemeinsames Wertefundament aller Angehörigen der Bundeswehr, das dem Einzelnen Halt und der Gemeinschaft Verlässlichkeit gibt.

Wie am Beispiel gezeigt können insbesondere Soldaten und Soldatinnen in Ausübung ihres Dienstes in moralische Konfliktsituationen geraten. In Situationen, in denen weder Gesetze noch Vorschriften oder Taschenkarten das richtige Handeln eindeutig und verlässlich vorgeben. Dann bleibt nur das eigene Gewissen als Richtschnur. Deshalb ist es wichtig, das Erwägungs- und Urteilsvermögen der Angehörigen der Bundeswehr zu fördern. Damit ist auch in Extremsituationen verantwortliches Handeln möglich.

Ein weiteres kommt hinzu: Gesellschaftliche Entwicklungen und Spannungen können neue Probleme und Fragestellungen generieren. Wir erleben zunehmenden Populismus und beobachten Extremismus. Wir nehmen wahr, wie man sich unter dem vermeintlichen Schirm „Hauptsache dagegen“ sammelt und billigend in Kauf nimmt, inhaltlich vereinnahmt zu werden. Hier kann Persönlichkeitsbildung und mithin ethische Bildung Leitlinien zur Lösung und Beantwortung liefern.

Und das kann indirekt auch einen Nutzen für unsere Gesellschaft stiften. Die Angehörigen der Bundeswehr sind Teil der Gesellschaft. Mit einer qualitativ hochwertigen, methodisch vielfältigen ethischen Bildung fördern wir auch die Handlungssicherheit im Umgang mit gesellschaftlichen Problemen und wirken so kompetent in die Gesellschaft hinein. Sicherlich ein Sekundäreffekt und nicht die Priorität ethischer Bildung in der Bundeswehr, dennoch aber von hohem Nutzen. Ethische Bildung wird nach Herausgabe der Vorschrift (Ethische Bildung in der Bw / A-2620/6) durch die Rahmensetzung der Themen zukünftig auf eine Bweinheitliche Grundlage gestellt. 

IV Mit welchen Zielen und Inhalten sollen diese Erwartungen gefüllt werden?

Ziel der ethischen Bildung in der Bundeswehr ist der gewissensgeleitete und in seiner Persönlichkeit gefestigte Mensch. Ethische Bildung vermittelt dazu ethisches Grundlagenwissen und schult die persönliche moralische Urteilsfähigkeit. Gefordert ist damit ein zugleich edukativer wie praxisorientierter Ansatz.

Ethische Bildung bedarf insgesamt eines konsistenten Zielsystems. Auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Aufgaben stellen sich unterschiedliche Fragen. Ich begrüße deshalb den Ansatz in Grund-, Aufbau und Vertiefungsthemen, wie er in der neuen Vorschrift angelegt ist, ohne abschließenden Charakter zu haben. 

Wir kennen in den Streitkräften in der Taktik den Entschluss mit Begründung. Die Innere Führung betont das Handeln aus Einsicht. 

Beidem liegt die Idee zu Grunde, das eigene Handeln oder Unterlassen begründen zu können, um Einsicht zu erzielen und letztlich Gefolgschaft. Das gleiche gilt für ethische Fragestellungen. Wir wollen, dass die Angehörigen der Bundeswehr vom Mannschaftssoldaten bis zum General/Admiral und auch die zivilen Angehörigen der Bundeswehr ihr Handeln und Unterlassen ethisch begründen können. Wir wollen ethische Erwägungs- und Entscheidungskompetenz. 

Der Vorteil liegt auf der Hand: verbessere ich Urteilsvermögen und Entscheidungskompetenz übernehme ich bereitwilliger Verantwortung, bin ich bereit, auch in das Risiko hinein zu handeln. Damit stärkt auch ethische Bildung die persönliche Motivation und Einsatzbereitschaft. 

Besonders wichtig: Ethische Bildung soll ethisch-moralische Unterstützung leisten. Das gilt insbesondere in der Bewältigung seelischer Belastungs- und Ausnahmesituationen. Also im Einsatz, im Gefecht, aber auch in den alltäglichen Herausforderungen im Grundbetrieb, im Amt, in der Kommandobehörde, bei Ausbildung oder in der Rüstung. Nicht zu vergessen: In Dilemmasituationen, in denen es keine wirklich gute Lösung zu geben scheint. 

Ethische Bildung betont zu Recht die besondere Rolle und Bedeutung von Vorgesetzten für das ethisch richtige und verantwortbare Handeln der ihnen anvertrauten Menschen. In der Rollentrias von Führen-Ausbilden-Erziehen, in meinem Verständnis also, die herausgehobene Rolle auch für die Charakter- und Persönlichkeitsbildung kommt jedem Vorgesetzten, vor allem den Unmittelbaren Vorgesetzten und den Disziplinarvorgesetzten ein besonderer Stellenwert zu.

V Wer soll mit welcher Rolle dabei helfen, diese Ziele und Inhalte zu erreichen?

Bildung, Charakterbildung, Persönlichkeitsbildung, mithin Ethische Bildung ist aus meiner Sicht eine „Komplexleistung“. Im Triathlon muss Schwimmen, Fahrrad fahren und Laufen zusammenpassen. In der ethischen Bildung geht es aus meiner Sicht analog um das Zusammenwirken verschiedener Akteure. Nur durch den gemeinsamen Einsatz können die Bildungsziele erreicht werden. 

Ethische Bildung beinhaltet emotionale, seelische, religiöse und spirituelle Erfahrungen und Einsichten. Das erfordert synergetisches Zusammenwirken. In der Disziplin Bildung hat jeder seinen Platz und seine Rolle. Jeder wird gebraucht. 

Die Vorgesetzten, weil für den Stellenwert Ethischer Bildung aus meiner Sicht die In-diePlichtnahme und Verantwortung von Disziplinarvorgesetzten unverzichtbar ist.

Kirchen und Militärseelsorge: in der individuellen Ansprache oder bspw. im Lebenskundlichen Unterricht. Gerade der Lebenskundliche Unterricht leistet einen wesentlichen Beitrag zur ethischen Bildung in der Bundeswehr und nimmt deshalb zu Recht eine besondere Stellung ein. 

Er beleuchtet neben berufsethischen Themen insbesondere grundsätzliche Aspekte der gewissensgeleiteten Persönlichkeit und der individuellen Lebensführung sowie Identitäts- und Sinnfragen.

Lehr-, Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen: Sie gewährleisten die Aus- und Fortbildung sowie Qualifizierung von Führungspersonal zu ethischen Themen und Fragestellungen. Sie befähigen Vorgesetzte, ebenengerecht ethische Ausbildung in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich zu leiten oder durchführen. Dazu ist neben einer grundlegenden – nicht allumfassenden – Fachkompetenz elementare didaktisch-methodische Lehrkompetenz unverzichtbar.

Das Zentrum Innere Führung (ZInFü) stellt für die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Vorgesetzten und Ausbilder bzw. Ausbilderinnen geeignete Lern- und Lehrgangsangebote für die ethische Bildung bereit. ZEthA (Zentrale Stelle für Ethikausbildung in der Bundswehr) nimmt hier eine Schlüsselstellung ein. An der Führungsakademie der Bundeswehr (FüAkBw) werden ethische Bildungsmaßnahmen in die Lehre integriert.

Die Universitäten der Bundeswehr können, im Rahmen ihrer interdisziplinären, überfachlichen Kompetenzen entsprechende Studienangebote, Lehrveranstaltungen zur berufsethischen Bildung in der Bundeswehr und zu deren Vermittlung anbieten.

Bildungsträger und Bildungspartner, wie z.B. das zebis. Auch Sie gehören zum Team. Ihre allgemeinen oder speziell zugeschnittenen Angebote fördern nicht nur den Dialog zwischen Gesellschaft und soldatischer Lebenswelt. Sie entwickeln in den Bereichen der Friedens- und Militärethik entsprechende Weiterbildungsformate und bieten wie heute wichtige Plattformen zum Expertenaustausch.

Aufzählungen bieten immer die Gefahr, nicht vollständig und abschließend zu sein, sehen Sie es mir bitte nach. Als Ausgleich darf ich an dieser Stelle gerne noch einmal betonen: Es geht um eine Komplexleistung, eine Gemeinschaftsleistung. Jeder und Jede hat darin seine Rolle und Bedeutung.

Vielleicht ein Perspektivwechsel: Ich habe gerade die Rolle und Bedeutung der vielen Beteiligten an der Ethischen Bildung etwas näher beleuchtet. Eine Gruppe habe ich dabei nicht genannt. Diese Gruppe von Menschen ist mindestens ebenso wichtig wie alle angeführten. 

Ich meine die Adressaten und Zielgruppen ethischer Bildung. Ebenso wichtig ist nämlich auch die eigene Anstrengungsbereitschaft, der eigene Anspruch, sich zu bilden, sich weiterzuentwickeln – nicht nur verengt auf die Fachlichkeit.

Soldat und Soldatin zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere. Gerade weil das so ist, gilt es, die Selbstkompetenz – nicht nur, aber insbesondere – unserer Führungskräfte konsequent zu entwickeln und zu fördern – von ersten Tag an, kontinuierlich. 

VI Kriterien für den Erfolg

Wenn wir uns in der Bundeswehr jetzt aufmachen, mit der neuen Vorschrift zur Ethischen Bildung, geordnete Vorgaben zu machen und die Ethische Bildung als Teil der Anstrengungen zur Persönlichkeitsentwicklung und Charakterbildung zu verstehen, dann ist die Frage nach den Kriterien für den Erfolg nur zu berechtigt. Allein das Vorhandensein einer Vorschrift, oder einer Konzeption, ganz allgemein von Befehlen und Weisungen sichert nur die Anstrengungen zur Umsetzung, garantiert aber noch keinen Erfolg.

Was also könnten Kriterien für den Erfolg sein? Was ist in der Umsetzung wichtig? Ich will dies an den Gedanken, Verständnis über den Nutzen von Bildung, Mehrwert durch Praxisbezug, Zugang in Menschensprache, Zusammenwirken der Beteiligten und nicht zuletzt an der Ressource Zeit skizzieren.

Bildung ganz allgemein fördert kritische Reflexion, das Urteilsvermögen, die Auseinandersetzung mit Themen aus unterschiedlichen Perspektiven und je nach vorhandenem Methoden- und Instrumentenkoffer neben emotionalen Zugängen insbesondere die analytische Befassung mit ausgewählten Problemstellungen. 

Deshalb ist gerade die akademische Bildung für Offiziere der Bundeswehr von so herausragender Bedeutung. Das rechtfertigt auch den lohnenswerten Mitteleinsatz. Prof. Beckmann als Präsident der HSU kann das sicherlich noch sehr viel besser als ich fassen.

Ethische Bildung muss deshalb ERSTENS in diesem Verständnis und jenseits aller Vorschriftenverbindlichkeit für Soldatinnen und Soldaten als lohnenswerte Investition in die Persönlichkeits- und Charakterbildung begriffen werden. In diesem Sinne auch als Chance und lohnenswert für die zivilen Angehörigen der Bundeswehr.

Sie muss ZWEITENS einen erkennbaren und bei der Zielgruppe wahrnehmbaren Mehrwert erzeugen und praxisrelevant sein. Denn das und nur das wird jenseits aller wohlfeilen Formulierungen am Ende der Prüfstein sein. Dafür sind praxisorientierte Anlehnungsbeispiele unverzichtbar, gerne auch in der Verknüpfung von Fragestellungen durch die verschiedenen Epochen deutschen Soldatentums oder im internationalen Kontext. Je mehr Vergleiche, je mehr Beispiele, je mehr Transfer in die eigene Wirklichkeit, ob als Staatsbürger in Uniform im treuen Dienst für unser Land oder in der Unterstützung unseres Gemeinwohls. Erkenne ich den Bezug zur eigenen Wirklichkeit oder Profession nicht, werde ich meine Aufmerksamkeit Anderem zuzuwenden. Es geht um erkennbare Relevanz. Das gilt für militärische wie für zivile Angehörige der Bundeswehr, die das Bildungsangebot auf freiwilliger Basis nutzen können.

Es müssen nicht immer die großen und weltbewegenden Fragestellungen sein. Es geht um die eigene Erlebens- und Erfahrungswelt auf allen Ebenen. Dazu müssen nicht nur Experteninnen und Experten, sondern auch Vorgesetzte in der Lage sein, nur so greift es ineinander. 

Entscheidend für die Akzeptanz der Inhalte ethischer Bildung ist DRITTENS der ebenengerechte Zugang in Menschensprache. Und das ist durchaus eine Herausforderung. 

Wir beobachten in der Gesellschaft sinkende Aufmerksamkeitsspannen, Twitter-Begrenzungen auf eine Anzahl von Zeichen, Google-Wahrheiten und fake news, mangelnde Bereitschaft weiter als bis zur Überschriftenebene zu lesen, unterschiedliche Begriffe mit unterschiedlichen Inhalten für dieselbe Sache verwendet. Die Neigung egal über was und zu jeder Zeit mit jedem und jeder auch auf Basis gefährlicher Halbwahrheiten zu sprechen: wir können dies alles beklagen und problematisieren. Es hilft nichts. Das sind Rahmenbedingungen, die in unterschiedlicher Ausprägung zu akzeptieren sind. Und dies stellt neben Inhalten auch eine sehr hohe Forderung nach der Durchführung von ethischer Bildung. 

Dabei ist dem existentiellen Ernst ethischer Entscheidungssituationen bei Planung und Durchführung von Maßnahmen der ethischen Bildung angemessen Rechnung zu tragen. Trotzdem: Es darf Spaß machen, und man darf dabei auch lachen.

Ebenso wie in der Operationsführung gilt: In der ethischen Bildung kommt es auf den Praxisbezug und die Verständlichkeit an. Dabei geht es mir nicht um Checklisten, aber Hilfen, Instrumente und Anwendungsraster zur Reflexion. Regeln, mit denen ich im Dilemma die Entscheidung für mich selbst vorbereiten kann, wie z.B. den Koblenzer Entscheidungscheck. Es geht mir um den Erwerb von Fähigkeiten und die Nutzung von Hilfen, auf die ich ohne lange zu zögern zurückgreifen kann. Bei Nacht und schlechter Sicht, automatisiert im Kampf, im Alltag, unter höchster Anspannung – bei fehlenden Gewissheiten. 

Ethische Bildung wird VIERTENS umso mehr Wert entfalten können, umso stärker und selbstverständlicher das Zusammenwirken der Verantwortlichen und Durchführenden ihre Anstrengungen auf das gemeinsame Ziel ausrichten.

Und schließlich FÜNFTENS: Ethische Bildung braucht Zeit, Ort und Gelegenheit, vor allem aber die Überzeugung, nicht an Unterrichtsräume und Stundenpläne gebunden zu sein. 

 

VII

Meine Damen und Herren, der Einsatz militärischer Gewalt – das zeigen die Konfliktregionen – folgt zunehmend eher Mechanismen und Abfolgen, anstelle eines Konsenses über Regeln und Verhaltensweisen. Der Einsatz der Bundeswehr, ihrer Soldatinnen und Soldaten und findet damit heute in einem deutlich komplexeren Umfeld statt, dazu kommen fehlende Gewissheiten und mannigfaltige Einflüsse. Dieser Einsatz erstreckt sich von der Kontaktverfolgung in Gesundheitsämtern über Hilfe bei Katastrophen, bis hin zum scharfen Ende im Rahmen von Krisen- und Konfliktverhütung oder in der Landes- und Bündnisverteidigung.

Den Weg zu finden, Dinge richtig zu tun oder die richtigen Dinge zu tun, ist dabei auf allen Ebenen und für alle Angehörigen der Bundeswehr eine zunehmende Herausforderung. 

Denn es sind alle Angehörigen der Bundeswehr, die nach meiner festen Überzeugung ihren Teil zur erfolgreichen Auftragserfüllung unserer Bundeswehr leisten. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass Maßnahmen der ethischen Bildung auch den zivilen Angehörigen der Bundeswehr auf freiwilliger Basis offenstehen.

Führen und Entscheiden heißt Gestalten und nicht verwalten. In konkreter Entscheidungssituation kann Tun oder Unterlassen, individuelle oder institutionelle Schuld nach sich ziehen. Das ist als Realität zu akzeptieren. 

Tun und Unterlassen wie auch Fehlverhalten aus fehlender oder unzureichender Persönlichkeitsbildung - ethischer, historischer oder politischer - hingegen sollte für die Angehörigen der Bundeswehr keine Option sein.