Hamburg - 31.05.2018

"Strategische Vorausschau gilt heute als ein anerkanntes Instrument der Krisenfrüherkennung"

Herr Generalmajor Zudrop, wie beurteilen Sie den Beitrag von strategischer Vorschau zur Krisenprävention?

„Gefahr erkannt – Gefahr gebannt!“ – so weiß es der Volksmund. Und genau darum geht es im Kern bei der strategischen Vorschau. Diese gilt heute als ein anerkanntes Instrument der Krisenfrüherkennung. Heraufziehende Krisen sollen möglichst frühzeitig identifiziert werden, um im besten Fall noch präventiv tätig zu werden zu können. Auguste Comte hat ihren Zweck in die treffenden Worte gefasst: „Wissen, um vorauszusehen, und voraussehen, um handeln zu können.“ Leider ist es in der Lebenswirklichkeit nicht immer so, dass die erkannte Gefahr damit auch automatisch gebannt ist. Entscheidend ist am Ende, ob und inwieweit early warning auch zu early action führt und welche Ergebnisse erzielt werden. Der Völkermord 1994 in Ruanda ist nur eines von vielen Beispielen, wo trotz erfolgter frühzeitiger Warnungen nicht präventiv gehandelt wurde.

Wird auch in der Bundeswehr das Instrument der strategischen Vorausschau genutzt?

Das aktuelle Weißbuch schreibt der Krisenfrüherkennung eine besondere Bedeutung für die Aufklärung als zentrales Fähigkeitsmerkmal zu. In der Bundeswehr wird die strategische Vorausschau als ein perspektivisches Analyse-, Bewertungs- und Planungsinstrument genutzt. Sie soll (Mega-) Trends erfassen, Szenarien konstruieren, Entwicklungen und Fähigkeiten beschreiben und Zielmarken für Langfristperspektiven liefern. Im Übrigen kann so verstandene strategische Vorausschau gleichermaßen auch als ein Instrument für systemische Krisenprävention gesehen werden, wie sie auch im Zusammenhang mit einer globalen Friedensethik gefordert wird.

Welche Bedeutung hat die strategische Vorschau für die Arbeit des Kommandeurs Zentrum Innere Führung?

Die Konzeption der Inneren Führung ist, abgesehen von einem unveränderbaren Kernbestand, auf Dynamik ausgelegt. Sie muss daher immer wieder Antworten finden auf neue Herausforderungen, nur so kann sie ihren wichtigen Beitrag zur Einsatzbereitschaft und Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr leisten. Um dabei nicht nur „auf Sicht fahren zu müssen“, sind für unsere Arbeit die „großen Trends“ aufzuspüren und bezüglich ihrer Chancen und Risiken für die Menschen in der Bundeswehr zu bewerten. Ein Beispiel dafür ist die fortschreitende Digitalisierung. Sie revolutioniert unsere gesamte Gesellschaft und damit auch das Leben in der Bundeswehr in einem noch nicht abschätzbaren Ausmaß. Die Entwicklung von Optionen für mögliche zukünftige Handlungslinien ist für die zeitgerechte Bereitstellung von angemessenen Lösungsstrategien notwendig und hilfreich.

Herr Generalmajor Zudrop, wir bedanken uns für das Gespräch!

Mehr zum Thema in der neuen Ausgabe unseres internationalen E-Journals "Ethik und Militär / Ethics and Armed Forces": "Strategic Foresight: Mehr Weitblick, weniger Krisen?" (ab 15. Juni online)
U. a. mit Beiträgen von Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck, Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr, Vizeadmiral Joachim Rühle, Stellvertretender Generalinspekteur, und Winfried Nachtwei, langjähriger sicherheits- und abrüstungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag.