„Plötzlich ist all das so aktuell und nah!“

 

Friedensethischer Kurs 2022 von zebis und ithf in Hamburg

„Ein Konflikt ist eine von mindestens einer Seite als emotional belastend und/oder sachlich inakzeptabel empfundene Interaktion, die durch eine Unvereinbarkeit der Verhaltensweisen, der Interessen und Ziele sowie der Annahmen und Haltungen der Beteiligten gekennzeichnet ist.“ So findet es sich als Definition im Museum der Arbeit in Hamburg, das zurzeit eine ausgesprochen sehenswerte Ausstellung zum Thema „Konflikte“ zeigt.

Bei den Planungen zum diesjährigen Friedensethischen Kurs, der sich eben mit „Konflikten“ beschäftigen sollte, hatte wohl keiner der Beteiligten geahnt, wie nahe das Thema „bewaffneter Konflikt“, wie nahe „Krieg“ den Teilnehmerinnen und Teilnehmern kommen würde. Wie unter einem Brennglas ist die Eskalation und Verhärtung der Fronten im Ukraine-Konflikt zu beobachten; Kriegsgewalt blockiert die Suche nach einer friedlichen Lösung. Und schließlich haben auch auf anderen Feldern die persönlichen und öffentlichen Konflikte in den vergangenen Jahren zugenommen: erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Impfgegnern und Impfbefürwortern, Diskussionen zu den Themen Migration, Energiepreise oder auch Klimaschutz.

So wurden in diesem umfangreichen Themenfeld unter der Überschrift „Konstruktive Konfliktkulturen“ beim diesjährigen Friedensethischen Kurs für Militärseelsorgerinnen, Militärseelsorger sowie andere Interessierte aus dem In- und Ausland Themen behandelt, die nicht nur einer neuen friedensethischen Reflexion unterworfen werden mussten; man spannte am letzten Tag der Seminarwoche sogar noch den Bogen hin zu eigenen Konfliktfeldern, zur persönlichen Konfliktbewältigung: „Was geht mich das an? Konstruktive Konfliktaustragung beginnt bei mir selbst.“ Vorher allerdings ging es in Vorträgen und Diskussionen um die Kriege in Afghanistan und der Ukraine, um das sicherheitspolitische Engagement der EU in Mali und um den großen Bereich „Klimawandel – Konflikt – Kooperation. Frieden und Sicherheit in Zeiten globaler Umweltveränderungen“. Externe Fachleute und Referentinnen und Referenten aus ithf und zebis wechselten sich dabei ab.

Auch in diesem Jahr hatte sich das Organisationsteam für die bewährte Zweiteilung der Tage entschieden: An den Vormittagen traf man sich in der Großgruppe zu Vorträgen und wissenschaftlichen Gesprächen, während es an den Nachmittagen in zwei Arbeitsgruppen noch konkreter wurde. Hier standen – besonders vor dem Hintergrund des „Lebenskundlichen Unterrichts“ (LKU) – einführende und exemplarische Überlegungen zur Friedensethik und zu aktuellen Herausforderungen der Konfliktethik im Mittelpunkt.

„Eine Welt ohne Konflikte ist nicht realistisch und auch nicht wünschenswert“, schreibt der Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr in seiner friedensethischen Standortbestimmung zur „Konstruktiven Konfliktkultur“. Somit war das Ziel des Kurses Mitte Juni in der inzwischen sehr bewährten Kooperation zwischen dem ithf (Institut für Theologie und Frieden) und dem zebis (Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften), konstruktive, hilfreiche Wege des Umgangs mit Konflikten aufzuzeigen und Gespräche darüber zu ermöglichen. Auch Möglichkeiten der Umsetzung im LKU kamen an allen Seminartagen zur Sprache.

Als Gewissensbisse, als Streit in der Familie, als Auseinandersetzung im beruflichen Alltag bis hin zu gesellschaftlichen Debatten: Konflikte sind allgegenwärtig. Sie verändern die Welt – auch im positiven Sinn! Für den Friedensethischen Kurs lag es deshalb auf der Hand, die eingangs erwähnte Sonderausstellung im Museum der Arbeit als Möglichkeit zur persönlichen Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Konflikten ins Programm einzubeziehen.

Die Abende dienten nicht nur dem gemeinsamen Gottesdienst, sondern auch der persönlichen Begegnung und Vernetzung, auch mit den Teilnehmenden aus dem Ausland. So begrüßte die Runde in diesem Jahr einen katholischen Militärpfarrer aus Litauen, der sehr persönliche Eindrücke aus seinem Land zum Ukraine-Krieg mitbrachte.

Fazit: eine sehr intensive und ertragreiche Woche, die ausgesprochen reibungslos verlief – und gerade dafür waren die gut 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr dankbar. Manchmal nämlich gibt es also auch eine Welt ohne Konflikte.

Jetzt vormerken: Der nächste Friedensethische Kurs findet vom 11. bis 16. Juni 2023 in Hamburg statt.

Julia Böcker, Heinrich Dierkes

 

Im Rahmen des Friedensethischen Kurses wurde auch das nachfolgende Interview mit dem Militärseelsorger Mindaugas Sabonis, Militärseelsorgerin Lisa Lay, Heinrich Dierkes und Dr. Veronika Bock geführt, das in der „neue Kirchenzeitung“, Nummer 26, 26. Juni 2022, „Plötzlich rückt der Ernstfall näher“ veröffentlicht wurde.