Podiumsdiskussion „Weiße Rose: Ethik des Widerstands – gestern und heute“

München, 15.07.2019

Der Stimme des Gewissens folgen, um Freiheit und Gerechtigkeit zu verteidigen – selbst wenn das gravierende Nachteile für sich selbst zur Folge haben kann. Das taten die mutigen Mitglieder der Weißen Rose, und das können auch wir heute von ihnen lernen. Darin waren sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Weiße Rose: Ethik des Widerstands – gestern und heute“ einig. 

Die Debatte in der Hochschule für Philosophie in München war Teil eines Gedenktages, den das zebis und die Hochschule zusammen mit mehreren Kooperationspartnern organisiert hatten: der Katholischen Militärseelsorge, der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Sanitätsakademie der Bundeswehr München, der Weiße Rose Stiftung und der Stiftung Kulturelle Erneuerung.

Prof. Johannes Wallacher, Präsident der Hochschule für Philosophie, machte in seinem Grußwort an die gut 200 Gäste deutlich: Die Ermordung des ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke habe schmerzhaft vor Augen geführt, wie notwendig eine solche Veranstaltung sei, in der es auch um Widerstand gegen Extremismus gehe. 75 Jahre nach dem gescheiterten Attentat einer Gruppe um den Wehrmachtsoffizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler lebten alte Feindbilder heute wieder auf.

Die Direktorin des zebis, Dr. Veronika Bock, machte in ihrer Begrüßung auf die verschiedenen Rezeptionsphasen des deutschen Widerstandes aufmerksam. Während die Taten in der Nachkriegszeit zunächst totgeschwiegen worden seien, sei es bei der späteren wissenschaftlichen Aufarbeitung teilweise zu einer „Adelung“ einzelner Widerständler gekommen. Mittlerweile setzten sich Historiker mit dem Verweis auf die Staats- und Gesellschaftsvorstellungen vieler Akteure des Widerstands kritischer mit den Beteiligten auseinander. Als Beispiel nannte Dr. Bock die neue Biografie von Thomas Karlauf über Claus Schenk Graf von Stauffenberg.

Sie machte jedoch klar, dass es damals wie heute Zivilcourage und Mut fordere, sich menschenverachtenden Strömungen zu widersetzen. Um zu einer Gewissensentscheidung zu kommen, müssten Betroffene einen individuellen, oft einsamen Prozess durchlaufen. Alles in der Hoffnung darauf, dass eine bessere, gerechte Zukunft möglich sei.

Generalstabsarzt Dr. Gesine Krüger, Kommandeurin der Sanitätsakademie der Bundeswehr, erinnerte daran, dass in der Gründungszeit der Bundeswehr nicht alle vom Gedenken an den deutschen Widerstand begeistert gewesen seien. Heute sei dies jedoch fester Bestandteil des Traditionsverständnisses der Streitkräfte. Das zeige nicht zuletzt die Umbenennung von Kasernen, deren neue Namen an mutige Widerstandsangehörige erinnern. So wird am 6. November 2019 die Liegenschaft Garching-Hochbrück, Sitz des Zentralen Institutes des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München, in „Christoph-Probst-Kaserne“ benannt. Zudem würden die angehenden Sanitätsoffiziere in ihrer Akademie ermutigt, sich mit der Geschichte der Weißen Rose auseinanderzusetzen. So könnten Lehrgangsteilnehmer lernen, was sie Intoleranz, Hass und Ausgrenzung entgegensetzen könnten.

Der Katholische Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck betonte in einem Impulsreferat, wie froh er über die Veranstaltung sei. Denn die Auseinandersetzung mit der Ethik des Widerstandes müsse zu den Tugenden auch heutiger Christen zählen. Gleichzeitig stünden Christen in kritischen Situationen vor einem Dilemma: Gingen sie in den Widerstand, würden sie die Gesetze eines Staates verletzen oder gar gegen das Tötungsgebot verstoßen. Täten sie nichts, würden andere Menschen weiter leiden – ein Verstoß gegen das Gebot der Menschlichkeit. Wer Unrecht nicht widerspreche, trage Mitschuld; das hätten auch die Mitglieder der Weißen Rose während der NS-Zeit den Münchnern immer wieder klargemacht. Mit Flugblättern forderten sie Bürgerinnen und Bürger zum passiven Widerstand auf und gaben Anweisungen zu Sabotage – ein Widerstand von unten. 

Dr. Overbeck hob hervor: Widerstand werde nicht gemacht, sondern „geleistet“ – wie ein Dienst oder Hilfe. Er sei da nötig, zulässig und geboten, wo Menschenrechte verletzt würden und ein herrschendes Regime keinen Raum für Opposition lasse, wenn alle friedlichen und legalen Mittel ausgeschöpft seien und es eine begründete Aussicht auf Erfolg gebe. Damit sei auch klar, so der Militärbischof, dass Rechtspopulisten und Extremisten den Begriff nicht – wie jüngst geschehen – für sich beanspruchen dürften. Die klare Positionierung löste spontanen Beifall aus.

Die Lehren aus der NS-Zeit bringen laut Dr. Overbeck gerade für Bundeswehrangehörige eine hohe Verantwortung mit sich. Denn Soldaten dürfen Befehle verweigern, wenn diese mit ihrem Gewissen nicht vereinbar sind. Deswegen sei Charakterbildung in der Ausbildung ein wichtiger Bestandteil. Schließlich erfordere es Mut, im Ernstfall mögliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Die christlichen Kirchen trügen mit ihrem Lebenskundlichen Unterricht zu dieser Charakterbildung bei. „Gewissen ist die Schnittmenge aus kognitiver Bildung und Herzensbildung. In meiner Studienzeit kam diese Herzensbildung zu kurz“, bedauerte Dr. Overbeck. Und rief Lehrende und Führungskräfte auf, dies heute besser abzubilden. 

Der Historiker Prof. Dr. Ulrich Schlie von der Andrássy-Universität Budapest mahnte, dass Widerstand in einer Diktatur und Widerstand in einer Demokratie nur teilweise vergleichbar seien. Das solle man bei der Debatte darüber im Blick behalten, was heute von der Weißen Rose gelernt werden könne. Die Frage, inwieweit Wehrmachtsangehörige das Recht zum Attentat auf Hitler gehabt hätten, obwohl sie ihm in einem Eid Gehorsam geschworen hätten, beantwortete er eindeutig: Weil zuerst Hitler seinen Eid gebrochen habe, und das tausendfach, seien Wehrmachtssoldaten dem Diktator nicht zur Treue verpflichtet gewesen.

Der ehemalige Abteilungsleiter Politik im Bundesministerium der Verteidigung stellte fest, dass sich die Bundeswehr mit Traditionsfragen schon immer schwergetan habe, sei sie doch von Wehrmachtssoldaten aufgebaut worden. Das zeige das emotionale Ringen um den Traditionserlass 1982 und dessen Überarbeitung vergangenes Jahr. „Wir sollten uns noch mehr mit dem Widerstand auseinandersetzen und uns auch dessen europäische Dimension bewusster machen“, sagte Prof. Schlie. „Das würde das Gemeinschaftsbewusstsein in der EU stärken.“

„Wir haben die Helden des Widerstandes nicht genug hervorgehoben“, kritisierte der katholische Theologe Prof. Dr. Markus Vogt von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Auch die Widerstandskämpfer gegen das totalitäre Regime in der ehemaligen DDR würden bislang zu wenig gewürdigt. Mit Blick auf seinen Vorredner Dr. Franz-Josef Overbeck ergänzte er: Auch bei den von der katholischen Kirche heiliggesprochenen Menschen vermisse er Angehörige des Widerstandes wie etwa Mitglieder der Weißen Rose. Stattdessen beschränke sich die katholische Kirche größtenteils auf Personen des Mittelalters. Der Theologe forderte, solche Identifikationsfiguren ganzheitlicher, also auch mit ihren Ambivalenzen, darzustellen: Welcher Glaube hat die Heiliggesprochenen beflügelt, welche Traditionen waren ihnen wichtig – darum stärker zu ringen betrachte er als Aufgabe einer ökumenischen Erinnerungskultur in der Kirche. Gleichzeitig würde eine solche Hervorhebung von Widerstandsangehörigen die Resilienz gegen extremistische Ideologien heute stärken, sagte der Professor für christliche Sozialethik. Wenn populistische Gruppierungen wie die AfD sich zu Widerstandskämpfern in der Tradition der Weißen Rose stilisierten, sei dies ein grober Missbrauch. 

Stattdessen gelte es, seinem Gewissen auch im Kampf gegen den Klimawandel und eine Renationalisierung zu folgen. Dabei nahm Prof. Vogt auch die Hochschulen in die Pflicht, die er als zu passiv beurteilte. „Die Universitäten müssen ihre Rolle neu definieren, Studierende befähigen und stärker ermutigen, selbst zu denken und auch Unbequemes anzusprechen.“  Das gelte auch für das Thema Missbrauch in der Kirche; dabei habe man zu lange weggeschaut. Lehren aus dem Widerstand zu ziehen, das bedeutet für den Theologen: Helden wie Sophie und Hans Scholl nicht auf ein Podest zu stellen und sich mit ihnen zu schmücken, sondern sich von ihnen inspirieren zu lassen; zu erkunden, bei welchen Gewissensfragen wir heute zum Widerstand aufgerufen seien.  

Berührend waren die Schilderungen von Berthold Goerdeler, dem Enkel des Widerstandskämpfers Carl Friedrich Goerdeler. Sein Großvater habe von den Deutschen während der NS-Zeit einen „einfachen, menschlichen Anstand gefordert“, berichtete er. „Dazu gehörten Klugheit, Tapferkeit, Mitgefühl und Gerechtigkeit. Carl Goerdeler hat immer gesagt: ‚Schlichte, einfache, gerade Menschen werden wir brauchen.‘“ Auch als die Nationalsozialisten auf dem Höhepunkt ihrer Macht gewesen seien, habe sein Großvater nicht den Mut verloren. „Er hat gesagt: ‚Es kommt gar nicht infrage aufzugeben!‘“ Um diesen Geist weiterzugeben, sagte Berthold Goerdeler, reichten Podiumsveranstaltungen allerdings nicht aus. Vielmehr müsste darüber gerade mit jungen Leuten intensiv gesprochen werden.

Eine Aufforderung, der Dr. Barbara Schellhammervon der Hochschule für Philosophie München bereits gefolgt ist. Zusammen mit Goerdeler hatte die Kulturphilosophin eine Vorlesungsreihe zum Thema Widerstand organisiert. Ihre Leitfrage: Wie geht Bildung zum Widerstand? Anlass dafür sei auch ein persönliches Unbehagen angesichts aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen gewesen. Bereits der Bildungsprozess sei wichtig, sagte Dr. Schellhammer: „Die Auseinandersetzung mit etwas, was mir fremd ist, ist unbequem. Ich kann es noch nicht so gut, verstehe es noch nicht.“ Und doch gelte es, dieses Unbehagen auszuhalten und zu überwinden. Gleichzeitig stimmte sie Bischof Dr. Overbeck zu: Um in schwierigen Situationen ethisch handeln zu können, reiche theoretisches Wissen nicht aus. „Das ist keine reine Kopfsache“, sagte Dr. Schellhammer. Um nicht automatisch in ein gereiztes Reaktionsmuster zu verfallen, brauche es auch emotionale Kompetenz.  

Gleichzeitig gelte es, behutsam vorzugehen. „Wir dürfen die Menschen nicht abhängen, sodass sie in einen negativen Widerstand gehen“, warnte die Kulturphilosophin. Kultur sei wie ein Gewebe, das Menschen durchdringe und auch Generationen miteinander verwebe. Zu viele und zu schnelle Veränderungen könnten deswegen überfordern. Gleichzeitig gelte es, Menschen so zu bilden, dass sie sich auch mit unbequemen Themen auseinandersetzen könnten – etwa mit der Klimakrise.

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion konnten die Gäste bei einem Empfang über das Gehörte diskutieren. Danach wurden Auszüge aus der Oper „Weiße Rose“ von Udo Zimmermann aufgeführt.

Der „denk-würdige“ Tag hatte zuvor mit einem Gedenkakt von Militärbischof Dr. Overbeck im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität begonnen. Am Fuße der Galerie, von der Hans und Sophie Scholl 1943 einen Stoß Flugblätter direkt in die Halle geworfen hatten, lud der Bischof zum Erinnern und zum Gebet ein. Die Weiße Rose möge nicht vergessen sein, betonte Dr. Overbeck und legte, verbunden mit einem Schweigemoment, weiße Rosen nieder. Zu dem Gedenkakt waren hohe Vertreter aus der Politik, dem Bayerischen Landtag, aus der Bundeswehr, insbesondere der Sanität, sowie aus der Gesellschaft gekommen. So war auch Prinz Wolfgang von Bayern zu Gast.

Prof. Markus Vogt hatte in seinem Grußwort die Rolle der Universität als Ort des Wissens und der Wissensvermittlung herausgestellt, gerade was die Geschichte des Nationalsozialismus angehe. Danach konnten die Gäste an Führungen durch den Lichthof und die „DenkStätte Weiße Rose“ teilnehmen – dem zentralen Erinnerungsort zur Geschichte des studentischen Widerstands. Dr. Hildegard Kronawitter, Vorsitzende der Weiße Rose Stiftung, machte besonders auf ein Motiv der Weißen Rose aufmerksam: Freiheit. Das Wort hatte Sophie Scholl auch in großen Buchstaben auf die Rückseite eines Verhörprotokolls der Gestapo geschrieben, das die Ausstellung im Original zeigt. Auch wurde erklärt, wie die Flugblätter durch die Alliierten weiterverbreitet wurden. Die Führung endete im sogenannten „DenkRaum“. Die Besucher selbst sind dort angesprochen: Was bedeutet die Erinnerung für die Zukunft? Aus dem Gestern auf das Heute und Morgen zu sehen – eine der zentralen Botschaften dieses Tags.

Eröffnungsvortrag von Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck (PDF)

Grußwort der Kommandeurin der Sanitätsakademie der Bundeswehr, Frau Generalstabsarzt Dr. Gesine Krüger (PDF)

Grußwort der Direktorin des Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften, Frau Dr. Veronika Bock

Fotos: Norbert Stäblein (KS) und Julia Langer (SanAkBw)