Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt als Orte der ethisch-politischen Bildung für Angehörige der Bundeswehr

Eine Kooperation der Friedrich Ebert Stiftung (FES), Landesbüro Sachsen-Anhalt, des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge (Volksbund), Landesverband Sachsen-Anhalt, und des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis)

02.–05.03.2020, Magdeburg und Halle

„Grundsätzlich kann von jedem Beschuldigten ein Geständnis erlangt werden“

Dieses Zitat ist nicht nur der Titel der Dauerausstellung in der Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg, sondern steht auch exemplarisch für den schon vorher feststehenden Ausgang des Verfahrens in der Untersuchungshaftanstalt Magdeburg-Neustadt von 1945 bis 1989.

Die Gedenkstätte war zugleich Auftaktort des Seminars, an dem 35 Soldatinnen und Soldaten des Landeskommandos Sachsen-Anhalt unter der Leitung von Dr. Ringo Wagner (FES), Jan Scherschmidt (Volksbund) und Kristina Tonn (zebis) teilnahmen. Im Zentrum der Veranstaltung – die in dieser Form zum ersten Mal durchgeführt wurde – standen Besuche ausgewählter Gedenkstätten Sachsen-Anhalts, an denen während des Nationalsozialismus, der Zeit der sowjetischen Besatzung und der DDR-Diktatur schwere Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen verübt wurden. Eingebettet in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang, der auch die heutige Zeit prägt, sind sie zu Orten der Erinnerung an die Gewaltherrschaft verschiedener aufeinanderfolgender Regime geworden.

Gedenkstätten sind beispielhafte historische Stätten und Erinnerungsorte, die eingebettet sind in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang, dessen Bedeutung auch das Heute prägen. Ziel des Seminars war es, an diesen besonderen Orten und durch den offenen Austausch zwischen Referenten und Teilnehmern einen gemeinsamen Lernprozess zum Umgangs mit Gewalterfahrungen und ihren Folgen in den verschiedenen Diktaturen anzustoßen und darüber hinaus auch über die eigenen Einstellungen und Haltungen zu reflektieren.

Die Stiftung Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt hat es sich zur Aufgabe gemacht, „dazu beizutragen, dass das Wissen um die einzigartigen Verbrechen während der nationalsozialistischen Diktatur im Bewusstsein der Menschen bewahrt und weiter getragen wird“, sowie „die schweren Menschenrechtsverletzungen während der Zeiten der sowjetischen Besatzung und der SED-Diktatur darzustellen und hierüber Kenntnisse zu verbreiten“[1]. Letzterem widmet sich unter anderem die Gedenkstätte Moritzplatz in Magdeburg. Dieser 1873 bis 1876 als Amtsgericht und Stadtgefängnis errichtete Gebäudekomplex in Magdeburg-Neustadt diente von 1945 bis 1989 allen mit der politisch motivierten Verfolgung befassten ostdeutschen Strafverfolgungsorganen als Untersuchungshaftanstalt: zunächst der Justiz, ab 1952 der Deutschen Volkspolizei und ab 1958 dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Gegründet wurde die Gedenkstätte 1990; mit ihren Ausstellungen und ihrem Bildungsprogramm erinnert sie an die mehr als 10.000 Menschen, die hier im genannten Zeitraum inhaftiert waren.

Wie das Zitat in der Überschrift beschreibt, erpressten die Mitarbeiter des MfS von den Häftlingen Geständnisse, die die Grundlage für die späteren Urteile bildeten. Der enorme psychische Druck, der auf sie ausgeübt wurde, führte in der Regel schnell zu dem gewünschten Ergebnis. Vor allem durch die nahezu totale Isolierung von anderen Menschen, besonders vom eigenen sozialen Umfeld, sowie durch die vollständige Überwachung und Kontrolle des Tagesablaufs wurden die Inhaftierten gebrochen. Viele von ihnen leiden bis heute an den Folgen dieser Praxis.

Ein noch dunkleres Kapitel der deutschen Geschichte wurde in Bernburg betreten. Auf dem Gelände des heutigen Fachklinikums befand sich ab 1940 eine der sechs zentralen NS-„Euthanasie“-Anstalten, in denen Menschen mit Gas getötet wurden. Besonders für diese Gedenkstätte ist, dass die gesamte Quellenlage, die zu Forschungs- und Ausstellungzwecken zur Verfügung steht, die ausschließlich die Perspektive der Täter wiedergibt. Aufzeichnungen oder Dokumente der Opfer selbst gibt es nicht, denn alle der Euthanasiestätte zugeführten Personen fanden hier den sofortigen Tod. Rund 14.000 Patientinnen und Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten – vom NS-Regime als Kranke und Behinderte eingestuft – sowie Häftlinge aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Flossenbürg, Groß-Rosen, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsenhausen starben allein in Bernburg. 

Im Spätsommer 1943 wurde die „Euthanasie“-Anstalt geschlossen. Die baulichen Überreste der Vernichtungsanlage blieben zum Teil erhalten. In der Dauerausstellung im Keller des Gebäudes, in dem sich auch die Gaskammer befindet, werden neben dem systematischen Ablauf der massenhaften Ermordungen vor allem die Täter betrachtet. An deren Lebensläufen nach dem Krieg lässt sich beispielhaft ablesen, dass die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen erschreckend gering blieb.

Nach dem Besuch der Gedenkstätte Bernburg fuhren die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer weiter nach Halle, wo Jan Scherschmidt vom Volksbund über den Gertraudenfriedhof führte. Der größte Friedhof in Halle wurde von 1912 bis 1916 angelegt und steht als gesamtes Ensemble unter Denkmalschutz.

Auf dem rund 37 ha großen Areal befindet sich eine Vielzahl besonderer Gedenk- und Ruhestätten, unter anderem für die Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkrieges, für die Opfer des Faschismus, für die jüdischen Opfer des Faschismus, für die internationalen Opfer sowie die Bombenopfer des Zweiten Weltkrieges und für sozialistische Kämpfer. Der jeweilige historische, kulturelle wie ideologische Kontext solcher Orte und Denkmäler muss selbstverständlich „mitgelesen“ und eingeordnet werden. Zugleich aber führte die Besichtigung noch einmal vor Augen, wie wichtig und notwendig ein physischer Ort zur Trauer sowie zur Gedenk- und Erinnerungskultur ist – für die Angehörigen und Nachfahren ebenso wie als Zeugnis im Rahmen der staatlichen und gesellschaftlichen Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Schließlich haben bei Weitem nicht alle Opfer der verschiedenen deutschen Diktaturen, insbesondere die des Nationalsozialismus, ihre letzte Ruhestätte auf einem Friedhof gefunden.

Dieser inhaltliche sehr berührende Tag fand einen besonderen Abschluss bei einem gemeinsamen Abendessen mit dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Dr. Hans-Peter Bartels.

Am nächsten Tag besuchten die Teilnehmenden die ebenfalls in Halle gelegene Gedenkstätte Roter Ochse, wo während beider Diktaturen schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen und zahlreiche Todesurteile vollstreckt wurden.

Das 1842 als „Königliche-Preußische Straf-, Lern- und Besserungsanstalt“ eröffnete Gefängnis diente der NS-Justiz zur Vollstreckung hoher Haftstrafen an männlichen Gefangenen, darunter zahlreichen aus politischen Gründen verurteilten Deutschen sowie Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern. Von Herbst 1942 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden dort zudem Todesurteile gegen insgesamt 549 Menschen aus 15 Ländern Europas und aus Tunesien vollstreckt. Nach der Befreiung der Insassen durch amerikanische Truppen im April 1945 wurde die Anstalt ab Sommer desselben Jahres mehrere Jahre lang von der sowjetischen Besatzungsmacht genutzt, die ihre Rechtsauffassung mithilfe von Militärtribunalen und Deportationen in Speziallager durchsetzte. Von 1950 bis 1989 nutzte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR einen Teil der Gebäude als Untersuchungshaftanstalt, andere Bereiche dienten dem Strafvollzug, seit 1954 insbesondere als Einrichtung für Frauen.

In den Gesprächen mit den Referenten und untereinander beschäftigten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder dieselben Fragen: Wie können Menschen anderen Menschen derartige Gewalt antun – sowohl physisch als auch psychisch? Wie konnten diese Systeme über Jahre Bestand haben? Wie konnten und können die Opfer und ihre Nachfahren mit ihren traumatisierenden Erfahrungen leben? Und schließlich auch die sehr persönliche Frage: Was hätte ich damals getan, wie hätte ich gehandelt?

Deutlich wurde dabei auch, dass es darauf keine einfachen Antworten gibt. Jeder und jede Einzelne muss sich mit seinen Erfahrungen und den übergeordneten Zusammenhängen, in denen er oder sie steht, selbst damit auseinandersetzen. An Orten wie dem Untersuchungsgefängnis Moritzplatz, der Euthanasiestätte Bernburg und dem Roten Ochsen kann sich niemand diesen Fragen entziehen. Die Konfrontation mit ihrer Vergangenheit und vor allem mit den Opfergeschichten ergänzt das Wissen über die in beiden Diktaturen begangenen Verbrechen um eine wesentliche Dimension: „Abstrakte“ Zahlen und Fakten werden anhand der Einzelschicksale von Betroffenen verständlich und nachvollziehbar – und gewinnen durch die Erkenntnis, dass sich Unrecht und persönliche Leidensgeschichten unweit der eigenen Haustür ereignet haben, eine neue Bedeutung. Über die individuelle Beschäftigung hinaus eröffnete das Seminar bewusst den Raum und die Freiheit für eine gemeinsame Reflexion der Geschichte und der politischen wie ethischen Herausforderungen – ganz besonders für Soldatinnen und Soldaten, die durch ihren Dienst eine besondere Verantwortung im Umgang mit Gewalt tragen.

Trotz des bedrückenden und herausfordernden Themas zeigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgesprochen interessiert und aufgeschlossen für eine intensive Auseinandersetzung damit. Die einzelnen Referenten, die nicht nur herausragende Vorträge hielten, sondern sich darüber hinaus viel Zeit für die Anliegen und Fragen nahmen, trugen einen wesentlichen Teil zum Gelingen des Seminars bei.

Daher bedanken wir uns an dieser Stelle noch einmal besonders bei Dr. Daniel Bohse (Leiter der Gedenkstätte Moritzplatz, Dr. Ute Hoffmann (Leiterin der Gedenkstätte für Opfer der NS-Euthanasie Bernburg), Michael Viebig (Leiter der Gedenkstätte Roter Ochse) und Dr. Kai Langer (Leiter der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt) für ihr beeindruckendes Engagement und ihren Einsatz für die Erinnerungsarbeit.

Rüdiger Frank, Kristina Tonn

 


[1]www.erinnern.org

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