Bedrohungen verstehen, Chancen nutzen

Bericht zur Podiumsdiskussion: „Sicherheitsrisiko Klimawandel – Was die Erderwärmung für die internationale Sicherheitspolitik bedeutet“

Katholische Akademie Hamburg, 28. Oktober 2021

Der für Ende Oktober ungewöhnlich laue Herbstabend stimmte gewissermaßen auf das Diskussionsthema ein. Wenige Tage vor der 26. UN-Klimakonferenz (COP26) hatten das Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) und die Friedrich-Ebert-Stiftung zu der Veranstaltung eingeladen. Fachkundige erkennen in Migrationsbewegungen sowie Ressourcenkonflikten bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen eine gravierende bevorstehende Klimafolge. Wie sich Bedrohungen durch den Klimawandel vervielfachen, ist in der Bildungsarbeit des zebis ein Jahresschwerpunkt, dem sich u. a. eine Ausgabe des E-Journals „Ethik und Militär“ widmet. Für das interdisziplinär besetzte Panel standen deshalb daraus resultierende Aufgaben der Bundeswehr und Möglichkeiten internationaler Krisenprävention zur Debatte.

Sicherheitspolitische, aber auch ethische Aspekte gelte es zu bedenken, hob der Katholische Leitende Militärdekan Monsignore Rainer Schadt einführend hervor. Zebis-Direktorin Dr. Veronika Bock zeigte sich besorgt, aber auch hoffnungsvoll. „Es sind gewaltige, globale Anstrengungen, die vor uns liegen. Aber es gibt gute Gründe, auch zuversichtlich zu sein. Der Klimawandel wird zunehmend als existenzielle Gefahr für die Menschheit wahr- und auch ernstgenommen.“ Dr. Dietmar Molthagen, Leiter des Julius-Leber-Forums, Friedrich-Ebert-Stiftung lud zur Beteiligung ein – vor Ort oder im Chat zur live gestreamten Diskussion.

Um den CO2-Fußabdruck der Veranstaltung klein zu halten, kam Generalleutnant a. D. Richard Nugee, Direktor für Klimawandelfragen im britischen Verteidigungsministerium, durch ein aufgezeichnetes Interview zu Wort. Er betonte die Dringlichkeit des Themas für die Streitkräfte und den Verteidigungssektor. Deren Aufgabe sei es gerade, sicherheitsrelevante Entwicklungen zu verstehen und vorausschauend „threats and opportunities“ zu identifizieren. So könne eine schiffbare Arktis zur Streitfrage zwischen Russland, China, der NATO und anderen werden, andererseits kürzere Handelswege eröffnen, was wiederum die Sicherheitsinteressen der Anrainerstaaten berühre. Zudem bestünden großen Chancen für das Militär, seine Fähigkeiten durch neue Technologien in der Energieversorgung zu verbessern. 

Ein neues Zeitalter in der Strategiefähigkeit, fasste Moderator Dr. Jochen Bittner, Journalist bei der ZEIT, die Videobotschaft zusammen. Wo Deutschland dabei steht, führte die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Dr. Eva Högl aus. Als Ursache von Flucht sei Klimawandel schon lange im Blick der Analysen; sie erwarte aber Schwung von Glasgow und einen deutlichen Aufschlag in Fragen von Klimaschutz und Umwelt von der neuen Bundesregierung und einzelnen Teilbereichen. Auch der Aufbruch in der Europäischen Union und der Wiederbeitritt der USA zum Pariser Klima-Abkommen stimmten sie optimistisch.

Die sicherheitspolitische Relevanz immer extremerer globaler Klimawandelfolgen für Deutschland verdeutlichte Dr. Kira Vinke, Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik der Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. In der Sahelzone, wo die Bundeswehr auch aktiv ist, stehe man vor der riesigen Herausforderung, dass unregelmäßige Wettererscheinungen mit Dürren und Ernteausfällen multifaktorielle Interessenskonflikte noch verschärfen. Sie plädierte dafür, ressortgemeinsam – durch das Verteidigungs-, Entwicklungs- und Außenministerium – eine Grundlage zu schaffen, um dem wachsenden Klimadruck etwas entgegenzusetzen. Noch sei der Klimawandel physikalisch und politisch aufhaltbar; alles andere setze sämtliche zivilisatorischen Errungenschaften aufs Spiel.

Dazu brachte Dr. Angela Kallhoff, Professorin am Institut für Philosophie der Universität Wien, die live zugeschaltet war, das Stichwort Klimagerechtigkeit ein. Diejenigen, die den größten Schaden tragen – besonders vulnerable Regionen – haben absolut nichts zur Ursache des Problems beigetragen. Wer die hohen CO2-Emissionen verursacht und daraus Reichtum generiert hat, unterliegt aus Sicht der Klimaethik einer Haftungs- und Klimabeistandspflicht. Diese Bringschuld sieht sie bisher weder national noch in der europäischen Gemeinschaft auch nur ansatzweise erfüllt. Akut müssten reiche Länder Hungersnöte bekämpfen und langfristig eine „grüne Transformation“ zu fairen Bedingungen international mittragen, forderte sie.

Prof. Dr. Stefan Bayer, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr (HSU) Hamburg, brachte die Abwägung zwischen Vermeidung des Klimawandels (mitigation) und Anpassungsmaßnahmen (adaptation) ein. Er bezweifelt, dass ein Aufhalten noch möglich ist: Die Emissionen sind bisher nicht zurückgegangen, und völkerrechtlich bestehe das Recht auf nachholende Entwicklung, was auch genutzt werde. Er drängt darauf, stärker über Anpassungsmaßnahmen nachzudenken; auch auf Streitkräfteebene. Sie seien auch eine Art Versicherungsleistung, um vor Klimawandelschäden zu schützen.

Ob und wie die Bundeswehr bei der Bewältigung von Klimafolgen einzubeziehen sei, dazu gab es unterschiedliche Auffassungen. Wegen der zu erwartenden Gleichzeitigkeit von Wetterextremen sei ein besseres Katastrophenmanagement unumgänglich, so Vinke. Die primäre Aufgabe der Bundeswehr sei jedoch die Krisenbewältigung bei bewaffneten Konflikten, erinnerte Högl; vielmehr gelte es, zivile Instrumente des Katastrophenschutzes im nationalen, europäischen und weltweiten Rahmen zu ertüchtigen – eine Lehre aus der Pandemie. Bayer setzte dagegen, dass Soldatinnen und Soldaten oft die Einzigen sind, die helfen können und: Eine tatkräftige Armee nütze ihrem Ansehen. Kallhoff ergänzte, Allianzen im europäischen und übereuropäischen Bereich und Aufgabenverteilungen im Katastrophenschutz seien auch zum eigenen Schutz nötig.

Ein wichtiger Aspekt von vielen war die Frage, ob auch die Bundeswehr klimaneutral werden kann. Das Thema Klimawandel treibe die Truppe um, berichtete Högl von ihren Erfahrungen. Sichtbar wurde dies auch an den Gästen im Publikum – Generalmajor Oliver Kohl, Kommandeur der Führungsakademie, war begleitet von Lehrgangsteilnehmenden ebenso vertreten wie HSU-Präsident Prof. Dr. Klaus Beckmann samt einer Studierendendelegation. 

Die Diskussion müsse noch viel weiter vertieft werden, forderte das Panel einstimmig. Es sei höchste Zeit für eine Verrechtlichung und positive Anreizsysteme, zum Beispiel über handelbare Emissionsrechte. Die G20-Staaten verursachen 75 % aller Treibhausgase; schwenken sie um, sei das Problem gelöst. Auch eine „Verklimatisierung“, also eine simplizistische Erklärung von Konflikten mit Klimaursachen, wollte niemand erkennen. „Si vis pacem, para Erderwärmung“, formulierte der Moderator an einer Stelle, und so lässt sich aus der vielschichtigen Debatte ein Fazit ziehen: Wenn nicht jeder Nationalstaat und jeder Funktionsträger seiner Verantwortung bei der Bewältigung des Klimawandels gerecht wird, werden eher die Bedrohungen zunehmen als die Chancen.

Julia Böcker und Rüdiger Frank

Zur Videoaufzeichnung der Podiumsdiskussion:
https://www.youtube.com/watch?v=tXZAnDK28iw

Lesen Sie auch zum Thema: die Ausgabe 1/2021 des E-Journals Ethik und Militär mit dem Titel „Der Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator“ mit Beiträgen unter anderem von Generalleutnant a. D. Richard Nugee und Prof. Dr. Angela Kallhoff.