Jahreskonferenz der European Society for Military Ethics in Europe – EuroISME

18. – 20. Mai 2022, Ludovika Universität, Budapest, Ungarn

Hält die Militärethik Schritt mit dem sich wandelnden Charakter der Kriegsführung?“

Dass die Art und Weise der Kriegsführung in Veränderungen begriffen ist, lässt sich an verschiedenen Konflikten der letzten Jahre feststellen. Gewalttätige Auseinandersetzungen gehen über die physischen Grenzen des Schlachtfelds hinaus, Grenzen zwischen Krieg und Frieden verschwimmen. Dies hat zumeist gravierende Auswirkungen auf die humanitäre Situation der Bevölkerungen. Afghanistan einschließlich des Abzugs der internationalen Truppen ist nur ein Beispiel, das die komplexen Dimensionen verdeutlicht. Seit dem Einmarsch russischer Truppen ist der Krieg in der Ukraine ein Sinnbild für diesen Wandel. Insofern stellt sich die Frage, ob die Militärethik mit dem sich wandelnden Charakter der Kriegsführung Schritt hält, äußerst akut.

Dieses Themas hat sich die European Society for Military Ethics (EuroISME) bei ihrer Jahrestagung 2022 angenommen. EuroISME ist auf die Betrachtung und Weiterentwicklung der militärethischen Grundlagen aus einer europäischen Perspektive und der westlichen Wertegemeinschaft ausgerichtet. Henryk Syse (Peace Research Institute Oslo) hob den Anspruch von EuroISME folgendermaßen ins Wort: „EuroISME is resilient to keep talking about the most important subjects.“ Alle Anstrengungen sind dem Studium, der Lehre und der Praxis der Militärethik gewidmet. Die angewandte Ethik setzt sich mit Fragen zur militärischen Gewaltanwendung, zum soldatischen Dienst und zur Institution Militär auseinander.

Nach der Gründungskonferenz von EuroISME 2011 in Paris und Tagungen an verschiedenen europäischen Austragungsorten in den Folgejahren fand die diesjährige Jahreskonferenz vom 18. bis 22. Mai 2022 an der Ludovika University of Public Service in Budapest statt. 2020 hatte das Zusammentreffen pandemiebedingt entfallen müssen; 2021 wurde ein virtuelles Format erprobt, mit allen Vorteilen und Schwächen. In seiner Eröffnung fasste Air Cdre. (ret) John Thomas, Präsident von EuroISME, die Freude über das nun mögliche Wiedersehen in treffende Worte: „For all wizardry to meet technologically, there is nothing like face to face.“

Aus Ost- und Westeuropa, aber auch außereuropäischen Ländern wie USA und Kanada, Israel und auch Russland kamen die über 100 Teilnehmenden. Sie vertraten militärische Akademien, universitäre Forschungseinrichtungen, die Streitkräfte und auch Militärseelsorgen. Für das zebis nahmen Dr. Veronika Bock, Kristina Tonn und Julia Böcker teil. Die Konferenz bot der zebis-Delegation nicht nur eine Möglichkeit der fachlichen Weiterbildung, sondern auch der kollegialen Vernetzung. Überdies konnte die bereits 2020 online verliehene Auszeichnung für die beste Masterarbeit in Militärethik von Julia Böcker entgegengenommen werden.

Von Budapest sind es nur drei Autostunden an die ukrainische Grenze. Aber nicht nur die räumliche Nähe, sondern insbesondere die massiven Schäden an der Friedens- und Sicherheitsordnung, der eklatante Bruch des Völkerrechts und die schrecklichen Menschenrechtsverletzungen machten den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bei der Jahrestagung zu einem omnipräsenten Thema. Dr. Andrea Ellner (Kingʼs College London) verdeutlichte in ihrer Keynote Speech die Dimensionen der Gewalt folgendermaßen:

„It is a war between two states recognised under international law as sovereign, but whose people have long-standing connections, personal and family ties and a very long shared, though contested, history. Such very close ties are usually present only in intra-state wars to as significant a degree as between Ukraine and Russia.  

And indeed the level of atrocities, often heightened in contexts of greater familiarity, echo the horrors of events in Bosnia-Herzegovina in the 1990s where neighbours inflicted violence on neighbours, usually systematically and brutally. Some places became so infamous that the mere mention of their name invokes the atrocities and human suffering that happened there. In 2022 Bucha and Mariupol stand for the same horrors that Srebrenica and Sarajevo symbolise as European sites of the worst in human behaviour.“

Dr. Ellner argumentierte für viel größere Anstrengungen, um Frauen in Friedensbemühungen einzubeziehen. Auch in der aktuellen Ausgabe des vom zebis herausgegebenen E-Journals „Ethik und Militär“ zur „Women, Peace and Security“-Agenda hat sie publiziert.

Der Krieg in Europa hat den Klimawandel als äußerst dringliches Thema der Friedensethik und Sicherheitspolitik in den Hintergrund gedrängt. Dabei werden Klimaextreme wie Dürren oder Überschwemmungen und deren Folgen Gefahren und Bedrohungen insbesondere in fragilen Weltregionen potenzieren. Dies stellte Dr. Veronika Bock in ihrem Vortrag zum Klimawandel als Konfliktmultiplikator heraus. Die Ausrichtung von humanitärer und Katastrophenhilfe, internationaler Entwicklungszusammenarbeit, der Friedens- und Resilienzförderung sowie des Statebuilding müsse dies berücksichtigen. Das Podium zu Militärethik und Umweltfragen war unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Lonneke Peperkamp (Netherlands Defense Academy) in der Széchenyi Grand Hall zusammengekommen.

Alles in allem rund 20 Panels bearbeiteten eine große Bandbreite an (auch) militärethisch bedeutsamen Fragestellungen. Ein zukunftsrelevantes Thema ist zum Beispiel die Steigerung der Leistungsfähigkeit („Enhancement“) von Soldaten und Soldatinnen etwa durch Medikamente, Exoskelette und Implantate. Massiv wird in dieser Richtung geforscht, ohne dass die gravierenden ethischen Bedenken ausreichend berücksichtigt sind. Ein militärmedizinisches Panel wandte sich unter anderem Überlegungen zu, wie sich Triage-Entscheidungen zu Wertefragen verhalten. Auch das soziale und kulturelle Gefüge der Armee an sich stand im Fokus, und zwar in einem Beitrag zur Schikane in soldatischen Gemeinschaften, etwa bei Initiationsritualen.

Im Schlusswort hob der im Amt bestätigte EuroISME-Präsident John Thomas den wachsenden Einfluss technologischer Veränderungen ins Wort. Auch Desinformations-Attacken nähmen zu. Kriege träten kaskadenartig mit anderen Übeln wie Klimawandel und transnationaler Kriminalität auf. Umso mehr sollten Foren wie EuroISME auf die Politik einwirken, wo letzten Endes Entscheidungen über Krieg und Frieden getroffen werden. Die Fortsetzung der Gespräche ist bereits in Planung: Die nächste EuroISME-Jahreskonferenz wird vom 10. bis 12. Mai 2023 in Athen stattfinden.

Julia Böcker

Bilder: EuroISME, zebis