„Gegenwärtige und zukünftige sicherheitspolitische Herausforderungen“

 

Bericht zum Studientag an der Offizierschule des Heeres in Dresden am 28. Juli 2022

Nach der Fortbildung zum Thema „Führungsethik“ im Mai dieses Jahres richtete das zebis Ende Juli erneut eine Veranstaltung für die Offizierschule des Heeres (OSH) aus. Rund 300Offizierinnen und Offiziere der OSH nahmen im Scharnhorst-Saal sowie im Exerzierhaus an zwei von Kristina Tonn und Heinrich Dierkes moderierten Expertenpanels teil. Diese widmeten sich hochaktuellen Schwerpunkten: Eines thematisierte den Krieg in der Ukraine aus der Perspektive der christlichen Friedensethik und der Internationalen Beziehungen, das andere die Bedeutung künstlich intelligenter Automation in Waffensystemen. In jedem Panel nahmen zwei Wissenschaftler zu wichtigen Aspekten des Themas Stellung; im Anschluss daran gab es für die Teilnehmenden Gelegenheit, Fragen zu stellen, Aussagen zu kommentieren und die Diskussion zu vertiefen. Die Veranstaltung galt als Lebenskundlicher Unterricht.

„Kampf um eine neue Weltordnung“

Nach der Begrüßung durch Bernd F. Schaller, Leitender Militärdekan des Katholischen Militärdekanats in Berlin, griff Dr. Veronika Bock, die Direktorin des zebis, in ihrem Grußwort markante Zitate von Prof. Dr. Michael Zürn und Prof. Dr. Markus Vogt zum Ukraine-Krieg auf: „Die Zukunft der internationalen Ordnung hängt von der Reaktion der Weltgemeinschaft auf Normverletzungen und den Ausgang der daraus erwachsenden Konflikte ab“, so einer der Leitsätze von Michael Zürn, Direktor der Abteilung Global Governance am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB) und Professor für Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. In seinem Vortrag „Der Krieg in der Ukraine und die Zukunft der Weltordnung“ umriss er vier Szenarien für den Ausgang des Konflikts, die Entwicklung der internationalen Ordnung und auch die Rolle Deutschlands. Ein intensives und höchst anregendes Foresight-Gedankenexperiment; dass der Ukraine-Krieg die liberale internationale Ordnung endgültig zu Grabe getragen habe – eine häufige Interpretation der Ereignisse nach dem 24. Februar –, kann aus dieser Sicht keinesfalls behauptet werden.

Im zweiten Vortrag fragte Markus Vogt, Ordinarius für Christliche Sozialethik an der katholisch-theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, nach den „Perspektiven christlicher Friedensethik angesichts des Krieges“. Dass der Krieg in Europa „lediglich ein Phänomen dunkler Vergangenheit“ sei, müsse aus heutiger Perspektive als naiv und überholt gelten, so Vogt. Auch er interpretiert den Ukraine-Konflikt als Teil eines vielschichtigen Kampfes um eine neue Weltordnung.Er führte Konsequenzen für die christliche Friedensethik aus seiner Sicht aus und setzte sich dabei mit dem Paradigma des gerechten Friedens und den friedensethischen Gedanken von Papst Franziskus (Fratelli tutti), aber auch der Notwendigkeit einer entschiedeneren Verteidigung demokratischer Werte gegen autoritäre Regime und einer Reform der globalen Sicherheitsordnung auseinander. „Christsein angesichts einer fragil gewordenen Weltordnung erfordert ein erheblich höheres Maß an Engagement für die Werte des Friedens, der Freiheit und der Versöhnung,als wir dies in der sicherheitsverwöhnten deutschen Welt der vergangenen Jahrzehnte gewohnt waren“, lautete sein Fazit.

Anthropozentrismus

Der Einsatz von Drohnen auch auf den Kriegsschauplätzen in der Ukraine zeigt, wie relevant auch der zweite thematische Schwerpunkt des Studientags für die Offizierinnen und Offiziere der Bundeswehr ist – falls es dafür überhaupt noch eines Nachweises bedarf. Dr. Veronika Bock wies im Grußwort zudem darauf hin, dass der Krieg die internationalen Verhandlungen über sogenannte „Lethal Autonomous Weapon Systems“ (LAWS) in Genf noch einmal erschwert habe.

Prof. Dr. Wolfgang Koch vom Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE)/Universität Bonn setzte in seinem Vortrag „Künstlich intelligente Automation für das Deutsche Heer: Technische Möglichkeiten und verantwortbare Nutzung im Einsatz“ die Entwicklungen im Bereich KI und Grundprinzipien der Inneren Führung in Beziehung. Damit der Mensch gute Entscheidungen treffen kann, muss er auch technisch unterstützt werden – allerdings müsse es dabei immer um eine nachvollziehbare kognitive und volitive Assistenz gehen. Koch illustrierte seine komplexen Ausführungen unter anderem am geplanten deutsch-französischen Future Combat Air System (FCAS), mit dessen ethischen und völkerrechtlichen Herausforderungen sich ein Expertenkreis öffentlich auseinandersetzt – ein Signal auch gegen die in diesem Bereich weitverbreitete Geheimhaltung.

Auf die zentrale Bedeutung menschlicher Kontrolle und Letztentscheidung wies auch Dr. Niklas Schörnig in „Militärische Automatisierung und Autonomie: Eine kritische Betrachtung aus rechtlicher, ethischer und sicherheitspolitischer Sicht“ hin. Der Leiter der Forschungsgruppe Research on Emerging Technologies, Order and Stability am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) stellte unter anderem den Stand der internationalen Ächtungs- oder Kontrollbestrebungen im Bereich LAWS dar und entwickelte seine Ausführungen anhand eines Diskursdreiecks zu autonomen Waffen. Seiner Ansicht nach wird die Debatte von der ethischen und rechtlichen Kritik dominiert; er wies auf die Bedeutung auch der sicherheitspolitischen Argumente gegen eine „Totalautonomisierung“ hin. Gleichzeitig kontrastierte er dies mit dem Trend zu verstärkter Autonomisierung und stellte die Frage, wie die Bundeswehr mit dieser Dynamik in Zukunft umgehen wolle.

In den sich anschließenden Diskussionsrunden wurde unter anderem thematisiert, ob eine Selbstbeschränkung in diesem Bereich strategische Nachteile mit sich bringe. Es sei jedoch unerlässlich, so Prof. Koch, in der Verteidigung unserer Werte und Lebensform technische Effizienz, technische Beherrschbarkeit und die ethische Dimension zusammenzudenken.

So bot der Studientag für den Offiziersnachwuchs der Bundeswehr vertiefte Einblicke in einige der drängendsten sicherheitspolitischen Herausforderungen und die damit verbundenen ethischen Fragestellungen. Das Team des zebis bedankt sich bei allen Beteiligten für ihre Mitwirkung an der gelungenen Veranstaltung.

Rüdiger Frank

Fotos: Bundeswehr/Pilz