Ort der Gewalt, Ort der Verständigung

Ein chronologischer Rückblick in Text und Bildern auf den 9. Internationalen Workshop für Berufsoffiziere über den Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit von Auschwitz 

 

6.–10. März 2023 in Oswiecim, Zentrum für Dialog und Gebet (Polen) 
Eine Kooperation der Maximilian Kolbe Stiftung mit dem Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) 
Teilnehmende: 30 Berufsoffiziere aus Polen, Frankreich und Deutschland sowie in diesem Jahr drei Psychologen und Psychiater aus der Ukraine
Text: Kristina Tonn, zebis
Fotos: Vinzenz Kratzer, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge

 

Die Projektidee 

Die Workshop-Teilnehmenden sind eingeladen, in eine wissenschaftliche und persönliche Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Bedeutung von Auschwitz einzutreten. Sie lassen sich auf einen intensiven gemeinsamen Lernprozess und eine dem Ernst des Themas angemessene Reflexion ein – über die Dynamiken und komplexen Zusammenhänge von Gewalt ebenso wie über den Umgang mit Gewalterfahrungen und ihren Folgen. Denn gerade Soldaten tragen nicht nur eine wesentliche Verantwortung für den Umgang mit Gewaltmitteln, sondern sind zugleich den Auswirkungen von Gewalt besonders ausgesetzt. 

Der Analyse von Auschwitz und seinen Folgen kommt zum einen exemplarische Bedeutung für den Umgang mit Gewalterfahrungen und ihren Nachwirkungen im Allgemeinen zu. Zum anderen steht Auschwitz für Erfahrungen, die die Identität unserer Gesellschaften und die Identität Europas geprägt haben und noch heute prägen. Die unterschiedliche Erinnerung an Auschwitz in den verschiedenen Kontexten spiegelt die Komplexität gewalttätiger Ereignisse wider. 

Dabei leben die durch die massiven Gewalterfahrungen erzeugten Spannungen in der Unterschiedlichkeit der Formen, Inhalte und Funktionen, die die Erinnerung an Auschwitz in den verschiedenen europäischen Gesellschaften annimmt, fort. Diese Gewaltprägungen, denen eine beachtliche Sprengkraft innewohnt, gilt es verstehen zu lernen. Nur so können sie perspektivisch überwunden und die Voraussetzungen für eine gemeinsame europäische Identität geschaffen werden, in die Unterschiede eingehen, ohne aufgehoben zu werden. Der gemeinsame Workshop von Berufsoffizieren aus Frankreich, Deutschland und Polen soll in diesem Sinne Ausdruck des Bemühens um eine gemeinsame militärische Identität sein. 

Erstes Kennenlernen: Wer sitzt eigentlich neben mir?

Lager-Welten: Eindrücke aus den Führungen durch das Stammlager Auschwitz und Auschwitz-Birkenau

Gespräche mit Überlebenden: Frau Zdzislawa Wlodarczyk und Herr Grzegorz Tomaszweski berichten von ihren Jahren in den Konzentrationslagern 

Wie sah der Alltag im Stammlager und Birkenau aus? Was hat ihnen geholfen zu überleben? Wie sind sie persönlich mit den Gewalterfahrungen und Erinnerungen an die Verbrechen umgegangen? Wie sah ihr Leben nach dem Nationalsozialismus aus und was hat sie dazu gebracht, ihre Erfahrungen und Erinnerungen (öffentlich) mit anderen zu teilen? 

Ausstellungsbesuch: Auschwitz in Bildern eines Überlebenden  

Die Ausstellung zeigt Werke von Marian Kolodziej, der als einer der ersten Häftlinge in das Stammlager Auschwitz gebracht wurde und auch Birkenau mit aufbauen musste. Nach seiner Häftlingszeit nahm er seinen Beruf als Bühnenbildner wieder auf und war nicht nur in Polen, sondern auch international ein anerkannter Künstler. Erst nach einem Schlaganfall im hohen Alter brach die Erinnerung an Auschwitz – über die er vorher nicht gesprochen hatte – aus ihm heraus und wurde in tief beeindruckenden und erschütternden Bildern lebendig. 

Die Aktualität von Gewalt: Der Angriffskrieg auf die Ukraine 

Dr. Yurij Zakal und seine Kollegen berichten von dem herausfordernden Kriegsalltag einer psychiatrischen Klinik in der Ukraine. Welche langfristigen Folgen haben Traumatisierungen auf Menschen und Gesellschaften? Wie können diese damit umgehen? 

Täter werden – Täter sein: Erkenntnisse aus Tätergeschichten 

Dr. Sara Berger stellt anhand ihres Buches „Experten der Vernichtung: Das T4-Reinhardt-Netzwerk in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka“ beispielhaft Täterbiografien vor. Die Aktion Reinhardt steht für die systematische Ermordung der europäischen Juden in den drei genannten Vernichtungslagern. Die dort eingesetzten Männer der T4, des sogenannten “Euthanasie”-Programms des nationalsozialistischen Regimes, wurden im Rahmen dieser Aktion endgültig zu Experten der Vernichtung. Ihre Analyse macht auf eindrucksvolle und erschreckende Weise das enge Geflecht der Beziehungen deutlich, analysiert Gehorsamsbereitschaft und Gruppendruck, Handlungsspielräume, strukturelle Gegebenheiten und situative Dynamiken – ein erschütternder Blick auf die Handlungsmotive und die Effizienz sowohl der Einzeltäter als auch des Täterkollektivs ebenso wie auf deren Intention und Verantwortung bei diesem Genozid. 

Oswiecim heute: Besuch der Synagoge und Stadtführung  

Damit der Ort Oswiecim nicht nur für die deutschen Konzentrationslager Auschwitz I-III und die etwa 50 Außenlager steht, sind auch der Besuch der Synagoge und eine Stadtführung fester und wichtiger Bestandteil der Workshopwoche. Denn natürlich prägen die Gedenkstätten um die Konzentrationslager bis heute das Leben und das Gesicht des Ortes sowie der Region, aber die Gegenwart darf durch die gewaltbelastete Vergangenheit nicht komplett aus dem Blick geraten. 

In der Gedenkstätte Auschwitz: Gemeinsamer Gedenkakt für die Opfer des Nationalsozialismus  

Der Gedenkakt für die Opfer des Nationalsozialismus, besonders für die Opfer der deutschen Konzentrationslager Auschwitz, hat im Rahmen der Woche und für die Teilnehmenden einen zentralen Stellenwert. Sie gestalten die Zeremonie selbst und verleihen ihr dadurch einen sehr persönlichen und würdevollen Charakter. 

Auszug aus dem Text, den die Teilnehmenden für die Gedenkakt entworfen haben und während der Zeremonie (an der Erschießungswand) im Stammlager Auschwitz vorgetragen haben: 

Our responsibilities 

We, as Officers must invest ourselves in a permanent reflection regarding ethics, the most important antidote to any form of uncontrolled violence. 

We, as Officers can’t erase the horror of the holocaust but we must stand together against hate now and in the future must do everything to reject any attack against humanity. 

We, as Officers, need more than ever to respect rules and obey to principles and values of humanity and ethics.  

Fazit: Nachhaltige Erkenntnisse und Erlebnisse  

Der Workshop wird durch die Teilnehmenden getragen und geprägt. Sie verfolgen die wissenschaftlichen Vorträge, bringen ihre persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen aus der eigenen Familie und Geschichte, diskutieren und reflektieren die stets aktuellen Herausforderungen im Umgang mit Gewalt – gerade vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine. All dies, aber vor allem die persönliche Begegnung und das gemeinsame Trauern und Gedenken sowie das Feiern des Lebens lassen diese Woche zu einer besonderen Woche werden, die Lernen, Austausch, sachliche und emotionale Auseinandersetzung auf einzigartige Weise verbinden.