Zentrum für Dialog und Gebet, Oswiecim (Polen), 23. – 27. September 2024
Über eine Million Menschen wurden an diesem Ort ermordet, die meisten von ihnen sofort nach ihrer Ankunft. Sie waren Juden, aber auch Gefangene aus Polen, sowjetische Kriegsgefangene, spanische Kommunisten oder Verfolgte aus anderen europäischen Ländern, Sinti und Roma und Homosexuelle. Wie kein anderer Ort ist Auschwitz das Symbol nicht nur für den Holocaust, sondern für die unfassbaren Verbrechen an verschiedensten Opfergruppen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus ganz Europa. Auschwitz ist für alle Zeiten ein Friedhof; ein internationaler Erinnerungs- und Gedenkort – und ein Forum für besondere Begegnungen.
Vom 23. bis 27. September 2024 kamen Berufsoffiziere aus drei Nationen, Polen, Frankreich und Deutschland, im Rahmen des 10. Internationalen Workshops dort zusammen. Die Veranstaltung, die in Kooperation zwischen dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, dem Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) und der Bundeswehr organisiert wurde, bot den Teilnehmenden die seltene Gelegenheit, die Bedeutung von Auschwitz gemeinsam in den Blick zu nehmen. Die gewaltbelastete Vergangenheit dieses Ortes dient dabei als Ausgangspunkt für wichtige Fragen zu Erinnerung, Verantwortung und Zukunft.
Authentizität und Gedenken
Auschwitz ist ein Ort der Geschichte, der durch seine Authentizität zutiefst bewegt. Die Gedenkstätte erhält die ursprünglichen Gebäude, Holzbaracken, Zäune und Inneneinrichtungen in ihrem Zustand von vor 80 Jahren. Nichts wird hinzugefügt oder entfernt, wodurch die Schrecken dieses Ortes spürbar lebendig bleiben und die Besucher in ihrem Innersten berühren. Die Teilnehmenden besichtigten die zwei Komplexe des ehemaligen KL Auschwitz, das Stammlager (Auschwitz I) in Oświęcim sowie das Lager Birkenau (Auschwitz II) in Brzezinka, die zusammen das Museum bilden. Eine Einführung bot Andrzej Kacorzyk, Vizedirektor der Auschwitz-Gedenkstätte.
Insbesondere der Besuch der Gedenkstätte vermittelte den Berufsoffizieren jedoch nicht nur die historische Bedeutung des Lagers, sondern auch die ethischen Implikationen, die sich aus der Auseinandersetzung mit den dort verübten Verbrechen ergeben. Die Gespräche an einem solchen Ort führen unmittelbar vor Augen, welche Konsequenzen bewaffnete Konflikte und menschenverachtende Ideologien haben. Sie tragen dazu bei, dass Soldaten ein tieferes Verständnis ihrer Rolle in der Gesellschaft und ihrer Verantwortung für Frieden und Menschenrechte entwickeln.
Lernen von Überlebenden
Ein besonders prägender Moment waren die ausführlichen Gespräche mit Überlebenden des Lagers. Zdzisława Wlodarczyk erinnerte sich an den deutschen Luftangriff auf Polen, an den Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzungsmacht und an die folgenden Deportationen von (auch unbeteiligten) Zivilisten als Racheakt der SS- und Wehrmachtsverbände. So kam sie als Jugendliche nach Auschwitz. Grzegorz Tomaszewski wurde 1943 mit einem Transport belarussischer Menschen noch als Kind in das Lager gebracht und verlor dort einen Großteil seiner Familie. Erst nach mehr als sechzig Jahren fand er seine leiblichen Geschwister wieder, von den einige überlebt hatten.
Beide erzählten den Offizieren eindrücklich von ihren Erlebnissen. Diese Begegnungen boten eine einmalige Gelegenheit, von den letzten Überlebenden Wesentliches über die Schrecken dieses Ortes zu erfahren.
Europäische Identität und der Umgang mit der Vergangenheit
Der Workshop legt besonderen Wert auf ein Verständnis der unterschiedlichen Erinnerungskulturen in Europa. Auschwitz wird in jedem Land anders wahrgenommen und erinnert. In Deutschland steht Auschwitz für Schuld und Verantwortung, die durch die nationalsozialistischen Verbrechen entstanden sind. In Polen ist das Lager Teil der Geschichte der nationalen Unterdrückung und Besatzung, aber auch des jüdischen Leidens, während Frankreich die Deportationen und den Widerstand gegen das Regime in seiner Erinnerungskultur verankert hat. Diese unterschiedlichen nationalen Perspektiven wurden im Workshop bewusst gemacht.
Die Vorträge von Dr. Robert Zurek (Direktor Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung), PhD Pierre-Frédéric Weber (University of Szczecin) und Uta Gerlach (Memorial) konzentrierten sich auf den Umgang mit der Vergangenheit in Deutschland, Frankreich und Polen und die Spannungen, die dabei entstehen. Die Referenten betonten: Europa muss sich mit den unterschiedlichen Formen der Erinnerung auseinandersetzen und sie als Teil seiner kulturellen Vielfalt anerkennen. Nur durch einen respektvollen Dialog können gemeinsame Werte gefunden werden, die Grundlage für eine vereinte europäische Identität sind. Dafür gelte es dann auch mit Zivilcourage einzustehen.
Reflexion über Gewalterfahrungen und Verantwortung
Neben der wissenschaftlichen und emotionalen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit widmete sich der Workshop auch der Frage, welche Verantwortung Soldaten im Umgang mit Gewalt tragen. Diskussionen und Vorträge, wie der von WissDir‘in Babette Kleinwächter-Wagner über langfristige Traumatisierung, gaben wichtige Einblicke in die Auswirkungen von Gewalterfahrungen. Dr. Sara Berger vom Fritz-Bauer-Institut diskutierte mit den Teilnehmenden die Erfahrungen von Tätern und Überlebenden.
Im Rahmen des Workshops hatten die Teilnehmenden auch die Möglichkeit, die beeindruckende Ausstellung der Werke von Marian Kołodziej zu besuchen, einem der ersten Häftlinge im Stammlager Auschwitz. Erst nach einem Schlaganfall im hohen Alter begann er, seine Erinnerungen in Form von Kunst auszudrücken. Die Ausstellung zeigt tief bewegende und verstörende Bilder, die das unaussprechliche Leid und die Schrecken des Lagers eindrücklich darstellen.
Schlussgedanken: Hoffnung und Verpflichtung
Der Workshop gipfelte in einer Gedenkzeremonie im Stammlager Auschwitz, wo Tausende von Menschen ermordet wurden. Diese bewegenden Momente, geprägt von Stille und Reflexion, hinterließen bei den Teilnehmenden einen tiefen Eindruck.
Die Zusammenarbeit von Soldaten aus ehemals verfeindeten Nationen wie Deutschland, Frankreich und Polen in einem solch symbolträchtigen Umfeld wie Auschwitz zeigt, wie wichtig es ist, sich der Vergangenheit zu stellen, um eine friedliche Zukunft zu gestalten. Ihre Begegnung ist ein hoffnungsvolles Symbol für die Versöhnung und den Frieden, der in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde, und erinnert daran, wie wertvoll diese Errungenschaften sind – besonders in Zeiten globaler Spannungen.
Bericht: Julia Böcker
Fotos: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge / Vinzenz Kratzer; zebis / Julia Böcker, Kristina Tonn