„Wir brauchen eine kulturelle Revolution auf jeder Ebene“

Podiumsdiskussion zum „Sicherheitsrisiko Klimawandel“ auf dem 102. Deutschen Katholikentag in Stuttgart

Extremhitze in Indien und Pakistan. Dürre, Rekordtemperaturen und Waldbrände von Portugal bis Deutschland und Großbritannien. Dass der menschengemachte Klimawandel bereits jetzt die Lebensbedingungen auf der ganzen Welt in zum Teil bedrohlichem Maße verändert, ist unter Experten unumstritten und wird allein an diesen Ereignissen aus 2022 deutlich. Entsprechend groß war das Interesse an dem vom zebis am 28. Mai veranstalteten Panel beim diesjährigen Katholikentag. „Sind wir noch zu retten? Antworten auf das Sicherheitsrisiko Klimawandel“ lautete das Thema, mit dem sich – den inhaltlichen Schwerpunkten des zebis entsprechend – zwei Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten auseinandersetzten: der luxemburgische Verteidigungsminister und Vizepremier François Bausch (Die Grünen) sowie der Umwelt- und Sozialethiker Prof. Dr. Markus Vogt von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Direktorin des zebis Dr. Veronika Bock.

Einige einführende Auszüge und Statements aus einem Videointerview mit Lieutenant General Richard Nugee, dem Klimawandel- und Nachhaltigkeitsbeauftragten des britischen Verteidigungsministeriums, führten direkt zu zentralen Fragen: Inwiefern ist der Klimawandel auch eine sicherheits- und militärpolitische Herausforderung? Führt er unweigerlich zu mehr bewaffneten Konflikten? Auf welchen Ebenen besteht Handlungsbedarf?

Ja, wir sind zu retten, bekräftigte der Politiker François Bausch mit Blick auf den Titel der Veranstaltung; er warnte vor der lähmenden Wirkung von Panik und hob hervor, dass die Menschheit schon jetzt über das notwendige Wissen und die technologischen Möglichkeiten zur Verhinderung katastrophaler Folgen verfüge. Allerdings müsse dafür das Thema auf nationaler und internationaler Ebene, etwa im UN-Sicherheitsrat, noch sehr viel stärker priorisiert werden. Selbst die NATO, die das Thema bereits im Fokus habe, müsse sich stärker engagieren. Schließlich zeigten Beispielen wie der syrische Bürgerkrieg, wie Klimawandelfolgen Konflikte anheizen könnten. Für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik benannte er drei Schwerpunkte: Früherkennung und Prävention von Konfliktrisiken, Sicherstellung der Einsatzfähigkeit des Militärs bei gleichzeitiger Verringerung der Emissionen des Verteidigungssektors. Der Minister, der seine Standpunkte auch in einem ausführlichen Beitrag für das E-Journal Ethik und Militär dargelegt hat, verwies auch auf die Verpflichtung von Streitkräften als großen Emittenten, etwa die Forschung in diesem Bereich voranzubringen.

Die Einschätzung des Theologen Markus Vogt auf die Hauptfrage fiel ähnlich aus: Wir wären zu retten – allerdings sei der Wille zu entschlossenem Handeln bislang nicht erkennbar. Damit steuere die Welt auf eine Zeit heftiger Auswirkungen und Konflikte zu; bereits jetzt seien Lebensräume unbewohnbar geworden. Es gelte also, sich auf die Zukunft vorzubereiten, allerdings mutig und hoffnungsvoll, mit Blick auf die vielfältigen Potenziale zur Lösung der Probleme. Diese Resilienz sei der zukünftige Leitmaßstab. Sie beinhalte eine Verankerung der Klimapolitik als Querschnittsaufgabe in allen Bereichen – auch im militärischen –, aber ebenso eine Stärkung der Zivilgesellschaft, ein starkes friedensethisches Engagement im Sinne von Geschwisterlichkeit und ein anderes Verständnis von Wohlstand, wie es Papst Franziskus in seinen beiden letzten Enzykliken dargelegt habe. „Wenn wir den Krieg gegen die Natur nicht beenden, werden auch andere Konflikte nicht aufhören“, sagte Vogt.

Bei den abschließenden Fragen aus dem Publikum äußerten sich einige der Anwesenden skeptisch, ob das Militär gerade mit Blick auf die vielfältigen Krisenherde überhaupt einen signifikanten ökologischen Beitrag leisten könne. Auch François Bausch hatte bereits darauf hingewiesen, dass der Schutz der Umwelt keine Kernaufgabe der Streitkräfte sein könne. Andererseits – und dafür führte er unter anderem verschiedene Projekte aus seinem Verantwortungsbereich an – entbinde dies den Verteidigungssektor gerade nicht davon, sich am Kampf gegen den Klimawandel zu beteiligen. Ein Punkt, den eingangs bereits Lieutenant General Nugee starkgemacht hatte. (Ein Interview mit General Nugee finden Sie ebenfalls in der Ausgabe von Ethik und Militär zum Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator.)

So zeigte die vielschichtige Diskussion aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf, dass kein Mensch und keine Institution aus der Verantwortung entlassen werden kann, zu weniger Ressourcenverbrauch, mehr Klimagerechtigkeit und der dafür nötigen „kulturellen Revolution“ (Markus Vogt) beizutragen.

Rüdiger Frank