Werte in einer sich verändernden Bundeswehr - Podiumsdiskussion in Kooperation mit der Führungsakademie der Bundeswehr

Hamburg, 10.11.2010, Josef König

Generalvikar Wakenhut an der Führungsakademie: „Kardinaltugenden sind notwendig und verhindern militärische Sonderethik“

Dr. Veronika Bock: „Eine Vielzahl der ethischen Fragen stellen sich nicht wirklich neu, sie gewinnen aber im Lichte der Einsätze eine weitere Zuspitzung. Deswegen bleibt es unsere Aufgabe, die Antworten darauf einer fortlaufenden Reflexion zu unterziehen." 

Die Rotunde im Manfred-Wörner-Zentrum, in dem seit 1999 an der Führungsakademie der Bundeswehr (Hamburg) im Rahmen der Generalstabsausbildung sowohl teilstreitkraftbezogene als auch teilstreitkraftgemeinsame computergestützte Stabsübungen entwickelt und durchgeführt werden, war Veranstaltungsort für eine Podiumsdiskussion, in deren Mittelpunkt „Werte in einer sich verändernden Bundeswehr“ standen. Eingeladen hatten dazu das vom Katholischen Militärbischof getragene „Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften“ (zebis) und das „Internationale Forum Berufsethik für militärische Führungskräfte“ (IFE), welches selbst an der Führungsakademie in der Clausewitz-Kaserne angesiedelt ist.

Eröffnet wurde das Gespräch durch Generalmajor Robert Bergmann, Kommandeur der Führungsakademie, und moderiert durch Prof. Dr. Reiner Pommerin, langjähriger Sprecher des Beirates Innere Führung beim Bundesminister der Verteidigung. So war für die zahlreichen Lehrgangsteilnehmer und Dozenten an der Führungsakademie Gelegenheit, mit hochrangigen Vertretern der Streitkräfte, Repräsentanten der Kirchen, Wissenschaftlern und einem Journalisten der Wochenzeitschrift DIE ZEIT über Werte und die damit für das soldatische Handeln verbundenen moralischen Herausforderungen zu diskutieren. Hintergründe dafür sind nicht nur der politisch gewollte, strukturelle Wandel in der Bundeswehr, sondern auch Veränderungen in der bundesdeutschen Gesellschaft, die sich selbst in den Streitkräften widerspiegeln.

An diese knüpfte Generalinspekteur Wieker in seinem Eingangsstatement an und sprach von einer „zunehmenden Individualisierung“ und einer Tendenz zu „anonymisierter Kommunikation“ im Internet-Zeitalter, welche Auswirkungen in den Streitkräften zeigt. Mit Eintritt in die Streitkräfte gelte es, diese Erfahrungen gerade unter den jungen Soldatinnen und Soldaten durch Führung, Erziehung und Ausbildung in Bahnen zu leiten, damit „individualisierte Persönlichkeiten“ – gerade auch mit Blick auf Einsätze im „Koordinatensystem Streitkräfte“ – den damit verbundenen Herausforderungen gewachsen sind. Sinnstiftendes und erzieherisches Wirken auf der Grundlage von Werten bildet nach Auffassung des ranghöchsten deutschen Soldaten mit Gewähr dafür, dass die Streitkräfte unter den veränderten Rahmenbedingungen die parlamentarisch zu verantwortenden Aufträge erfüllen können.

Generalvikar Walter Wakenhut, der bis zur Ernennung eines neuen Militärbischofs die Leitung der Katholischen Militärseelsorge in Deutschland inne hat, erinnerte zunächst an eine Erklärung, die das „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ (ZdK) Mitte Oktober mit Blick auf die Zukunft des Wehrdienstes der Öffentlichkeit präsentiert hatte. Darin wird betont, dass „gerade die Erfahrungen in den Auslandseinsätzen die ungebrochene, wenn nicht gestiegene Bedeutung der Inneren Führung erweisen.“

Generalvikar Wakenhut konnte deshalb in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass sich der Katholische Militärbischof den gestiegenen Herausforderungen durch die Errichtung des zebis stellte und dies mit dazu beitragen wird, die „ethische Beratungskompetenz – insbesondere der Seelsorger – im Kontext des neu ausgerichteten Lebenskundlichen Unterrichtes zu stärken. Ziel aller Bemühungen bleibt es, Soldaten dafür kompetent zu machen, „die moralische Dimension ihres Handelns in konkreten Alltagssituationen zu erkennen und zu reflektiertem selbstständigen Handeln zu finden.“ Wünschenswert wäre es zum Zeitpunkt der Anpassung der beiden grundlegenden Dienstvorschriften zur Inneren Führung und zum Lebenskundlichen Unterricht auf Tugenden zu rekurrieren, ohne die Soldatinnen und Soldaten nicht auskommen können. Wörtlich fügte Wakenhut hinzu: „Ich bin zudem überzeugt, dass die notwendigen soldatischen Tugenden rückführbar und ableitbar sind aus den klassischen überlieferten Kardinaltugenden der Tapferkeit, des Maßes, der Klugheit und der Gerechtigkeit, so dass die Gefahr einer militärischen Sonderethik nicht besteht.“

Prof. Dr. Volker Stümke, seit 1998 Dozent für evangelische Sozialethik an der Führungs¬akademie, hob in seinem Statement die im Handbuch der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr als „Friedensethik im Einsatz“ näherhin entfaltete „Ethik rechtserhaltender Gewalt“, die in einem engen Zusammenhang mit den soldatischen Pflichten der Rechtsbefolgung steht, hervor. „Rechtsbefolgung“, so der evangelische Sozialethiker, umfasst mehr als „Befehlsgehorsam“. Und dies gelte gerade mit Blick auf das soldatische Handeln, welches den Einsatz von Gewalt als äußerstes staatliches Mittel nicht außer Acht lassen kann. Als eine die Kardinaltugenden ergänzende Kategorie nannte Stümke mit Blick auf zurückliegende Arbeiten aus der Friedensforschung die „Tugend der Affektkontrolle“, welche in spezifischen Situationen, in die Soldaten geraten können, trainiert werden kann.

Prof. Dr. Christof Mandry, der die Professur für Christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie und Christliche Sozialwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt inne hat, ging in seinem einführendem Statement der Frage nach, ob es universale Werte gibt, welche als „moralische Landkarte“ individuelle und kollektive Orientierungen mit Verbindlichkeit begründen können. Er verwies in dem Zusammenhang auf das „Menschenrechtsethos“, welches geeignet ist, eine Grenzziehung zwischen ausschließlich partikularen Interessen und Gemeinwohlorientierung vorzunehmen. Mit Blick auf die Zentrale Dienstvorschrift 10/1, welche seit Anfang 2008 die Innere Führung neu fasst, kann aus Sicht des katholischen Sozialethikers von einem „Wertekanon“ die Rede sein. Dieser gebe dem Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ ausreichend Raum für eigene Erfahrungen und deren Verarbeitung. Beide Momente, Erfahrungen und Verarbeitung, sind grundlegend für Wertebildung, die seiner Auffassung nach „durch Belehrung alleine“ nicht erreicht werden kann.

Dr. Jochen Bittner, Europa- und NATO-Korrespondent für DIE ZEIT und in Brüssel akkreditiert, stellte in dem abschließenden Podiumsstatement aus Sicht eines Auslandskorrespondenten erhebliche Veränderungen mit Blick auf die Identität deutscher Streitkräfte fest. So prognostizierte er in diesem Zusammenhang einen bedeutsamen Generationenkonflikt zwischen einsatzerfahrenen Soldaten einerseits und Soldaten andererseits, die ohne Einsatzerfahrung den Dienst verrichteten. Ebenso sei seiner Auffassung nach danach zu fragen, ob der im Grundgesetz normierte Verfassungsauftrag, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen, unter den gewandelten Einsatzoptionen tragfähig sein kann.

Eigene Diskussionsbeiträge aus dem Plenum und ergänzende Statements aus dem Podium schlossen die Veranstaltung ab. Auf Einladung der Direktorin des zebis, Dr. Veronika Bock, fanden Gespräche und Diskussionen über Verlauf und Ergebnisse der Veranstaltung bei einem Empfang ihre Fortsetzung.