Eine Kooperation der Maximilian-Kolbe-Stiftung und des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften
03. – 07. November 2014, Zentrum für Dialog und Gebet, Oswiecim, Polen
„Sind Sie Dr. Mengele persönlich begegnet?“ – „Dr. Mengele – natürlich! Ein sehr gut aussehender und höflicher Mann.“
Zitate wie diese aus dem Gespräch der Teilnehmer mit Überlebenden des Konzentrationslagers macht Erinnerung greifbar. Personen, über deren Leben und Handeln man aus Büchern, Dokumentationen und Filmen vieles zu wissen glaubt, werden in Gesprächen mit Überlebenden aus den Konzentrationslagern Auschwitz und Birkenau von der abstrakten Geschichtsfigur zum Menschen. Der Austausch mit Zeitzeugen weist auch zugleich auf eine starke Diskrepanz dieser Thematik hin: Wie kann ein Täter wie Dr. Josef Mengele, den jeder sofort mit menschenunwürdigen Verbrechen verbindet, zugleich als höflicher Mann beschrieben werden?
Um den Umgang und die Aufarbeitung von gewaltbelasteter Vergangenheit ging es in diesem internationalen Workshop für Berufsoffiziere vom 03. – 07. November 2014 in Auschwitz.
Wie kann in der Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Bedeutung von Auschwitz ein gemeinsamer Lernprozess entstehen? Was kann getan werden, um die Wiederkehr solcher Gräuel zu verhindern? Welche nationalen militärischen Erinnerungskulturen in Bezug auf den Holocaust gibt es? Wie unterscheiden sie sich und gibt es – perspektivisch – Ansätze von gemeinsamen europäischen militärischen Erinnerungsmustern und Führungsphilosophien?
Diesen und anderen Fragen stellten sich 24 Teilnehmer aus drei Nationen unter der Leitung von Dr. Jörg Lüer, Paul Apinis (Maximilian Kolbe Stiftung) und Kristina Tonn (zebis).
Zehn polnische, zehn deutsche und vier französische Berufsoffiziere waren in das Zentrum für Dialog und Gebet nach Oswiecim gereist, um an diesem sensiblen Ort im Gespräch mit Überlebenden, durch Vorträge und Diskussionen mit Experten über Extremtraumatisierungen und seine Generationen übergreifenden Folgen miteinander ins Gespräch zu kommen.
Der erste Tag des Workshops war durch das eigene „Ergehen“ und Erarbeiten des Ortes geprägt. In ausführlichen und detailreichen Führungen durch das Stammlager Auschwitz I und Birkenau machten sich die Teilnehmenden mit dem Ort, den Verbrechen und seiner vielschichtigen Historie Durch die Begegnung und dass Gespräch mit Auschwitz-Überlebenden am folgenden Tag, wurde das am Vortag Gehörte und Gesehene konkret. Die Erinnerung war nicht mehr nur länger ein Teil der Geschichte, sondern gewann durch die Erzählungen der ehemaligen Häftlinge eine unmittelbare Gestalt und eine sehr persönliche und eindrückliche Note. Dies wurde auch durch die eindrucksvolle Bilderausstellung des Auschwitz-Überlebenden Marian Kolodzej noch einmal betont.
Diese Eindrücke und Erfahrungen wurden durch Vorträge fachlich ergänzt und vertieft: Dr. Piotr Cywinski, Direktor der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, sprach über die „Erinnerung an Auschwitz als internationale Herausforderung“. Prof. Dr. Zahava Solomon von der Universität Tel Aviv referierte über die psychologischen und medizinischen Folgen von Traumata zum Thema „Langfristige Folgen von Traumatisierung. Zum psycho-sozialen Umgang mit schwerwiegenden Gewalterfahrungen“.
Einen Perspektivwechsel von den Opfern zu den Tätern vollzog der Historiker Prof. Dr. Wolfram Wette der Universität Freiburg in seinem Vortrag: „Täter sein, Täter werden – über die Bedeutung von Tätergeschichten nachdenken“.
In einer vergleichenden Annäherung an die Thematik legten Dr. Rafal Zytyniec und Dr. Jörg Lüer dar, wie sich die Erinnerung an Auschwitz und den II. Weltkrieg in Polen und Deutschland entwickelt hat. Die Einheiten machten deutlich, wie sehr diese erinnerungspolitischen Prozesse als gesellschaftliche Versuche der Bewältigung von gravierenden Gewalterfahrungen zu verstehen sind und wie stark die daraus erwachsenden Identitäten die Beziehungen der Gesellschaften zueinander prägen.
Abschließend sprach Dr. Ulrich Pohlmann aus dem Bundesministerium der Verteidigung, über „Militärische Erinnerungskulturen zwischen Opferkult und Gewaltverherrlichung. Perspektiven einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur“.
Der Workshop war durch angeregte und intensive Diskussionen der Gruppe in einer offenen Atmosphäre geprägt, die auch die Äußerung von eigenen Erfahrungen und Empfindungen zuließ. Die konstruktive und lebendige Zusammenarbeit während dieser Fortbildung in der Auseinandersetzung mit dem wohl schwierigsten und vielen Menschen unbegreifbaren Abschnitt europäischer Geschichte hat diesen Workshop zu einer zugleich herausfordernden und gelungenen Veranstaltung gemacht, für das ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanke.
Text: Kristina Tonn