„Das war eine sehr gute friedensethische Denkschule“

Friedensethischer Kurs vom 2. bis 7. Juni in Hamburg

„(Friedens-)Ordnungen unter Druck“. Unter diesem Titel – einer treffenden Charakterisierung der derzeitigen Weltsicherheitslage – fand der diesjährige Friedensethische Kurs für Militärseelsorger/-innen und Interessierte statt.

Der Kurs wird einmal jährlich vom Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) und dem Institut für Theologie und Frieden (ithf) in Hamburg ausgerichtet. Neben Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorgern aus Deutschland waren Vertreter aus Kroatien, Litauen und Österreich sowie ein Seelsorger der Landespolizei Nordrhein-Westfalen angereist.

Wie schon in den Vorjahren gliederte sich das umfangreiche Kursprogramm in zwei Teile: Fanden vormittags im St.-Ansgar-Haus thematische Einführungen und Fachvorträge mit anschließender Diskussion statt, so ging es am Nachmittag mit zwei Arbeitsgruppen zu ethischen Themen in den Räumen des ithf und des zebis in der Katholischen Akademie weiter.

Am Dienstag, den 4. Juni referierte Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl, unter anderem Mitglied des Deutschen Ethikrates, über das Thema „Rechtspopulismus als Herausforderung für die Kirche“. Er arbeitete die sogenannte „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ als zentrales Merkmal rechtspopulistischer Strömungen in der westlichen Welt heraus. Diese versuchten, die Zugehörigkeit zum „Volk“ als politischem Souverän (demos) an eine bestimmte Abstammung (ethnos) zu knüpfen. Er illustrierte dies an der Betonungsverschiebung der ursprünglich bei den Bürgerrechtsdemonstrationen in Leipzig 1989 verwendeten Losung„Wir sind das Volk“ hin zu „Wir sind das Volk“bei heutigen rechtspopulistischen Kundgebungen. Das Christentum, die katholische Kirche sieht Prof. Lob-Hüdepohl angesichts ihres Menschenbildes und ihrer weltverbindenden Ideen in einer besonderen Verantwortung, dem Populismus entgegenzuwirken.

In seinem Vortrag am Mittwoch ging Dr. Philipp von Wussow vom ithf auf Francis Fukuyamas viel zitierte und viel gescholtene These vom „Ende der Geschichte“ ein. An deren ausführliche geschichtsphilosophische Einordnung schloss er eine Bestandsaufnahme der heutigen Situation und eine Reflexion über einige andere Ideen zur (liberalen) Weltstaatsutopie an. Im Anschluss erläuterte Dr. Bernhard Koch, stellvertretender Direktor des ithf, Hegemonial-, Stabilitäts- und Regimetheorien und nahm dabei vertieft auf Denker wie Antonio Gramsci, Robert O. Keohane und Ottfried Höffe und ihre unterschiedlichen Vorstellungen zum „Weltstaat“ Bezug. 

Am 6. Juni behandelten Dr. Marco Schrage und Prof. Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven, Direktor des ithf, das Thema „Globale Ordnung aus theologisch-ethischer Perspektive“. Dr. Schrage widmete seinen Vortrag dem italienischen Theologen und Sozialethiker Luigi Taparelli d’Azeglio, der mit seinen Ideen zu globalen (Sozial-)Ordnungen seiner Zeit weit voraus war und heute eher in Vergessenheit geraten ist. Danach skizzierte Prof. Justenhoven die politische Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, erläuterte die besondere Position des „Friedens durch Recht“ und stellte die „Global Governance“ als einen Lösungsansatz vor, mit dem auf weltweite Herausforderungen auch mit globalen Lösungen einer Weltgemeinschaft geantwortet werden könne.

Die nachmittägliche Arbeitsgruppe „Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden“ wurde von Dr. Veronika Bock, Direktorin des zebis, und Dr. Annica Grimm geleitet. Ergründet wurde hier das Leitbild des gerechten Frieden, das Frieden an Gerechtigkeit geknüpft sieht. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten sich ein Verständnis dessen erarbeiten, was die Einheit von Konfliktvorbeugung, sorgfältig abgewogenem Gewaltmitteleinsatz und Konfliktnachsorge bedeutet. Ebenso wurde in Grundzügen die Rezeptionsgeschichte der Lehre vom gerechten Krieg vorgestellt sowie Auszüge aus Pacem in Terris und Gaudium et Spes auf die aktuelle Debatte um Nuklearwaffen angewandt.

Die Mitarbeitenden in der zweiten Arbeitsgruppe „Einführung in die Ethik“ unter der Leitung von Dr. Philipp von Wussow und Dr. Bernhard Koch reflektieren intensiv über die Begründungen und die Anwendbarkeit moralischer Urteile sowie über die zunehmende Bedeutung von ethischer Bildung für Sicherheitsorgane wie die Polizei und der Armee.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekamen überdies in einem weiteren Workshop mit Sabine Niestrath didaktische Anregungen für den Lebenskundlichen Unterricht in der Bundeswehr.

In der Conclusio am Freitagvormittag kamen viele Aspekte aus den Vorträgen und Arbeitsgruppen erneut zur Sprache. So waren sich alle Beteiligten einig, dass es zwar keine perfekte politische Weltordnung geben könne, dass es aber eine der Aufgaben von Kirche sei, mit ihren besonderen Ressourcen wie Barmherzigkeit, diakonischem Handeln und der weltweiten Verbundenheit Frieden zwischen den Menschen zu ermöglichen.

Ein Teilnehmer fasste den Kursverlauf prägnant zusammen: „Das war eine sehr gute friedensethische Denkschule.“

Neben den Diskussionen und Vorträgen im Tagesprogramm bot der Kurs Gelegenheit, sich untereinander auszutauschen und zu vernetzen. Sehr positiv wurde von allen Beteiligten der neu geschaffene „Abend der Begegnung“ aufgenommen, bei dem Militärseelsorger aus Kroatien, Litauen und Österreich von ihrem Auftrag und Alltag in den Streitkräften ihrer Heimatländer berichteten.

Hinweis: Der nächste Friedensethische Kurs wird vom 7. bis 12. Juni 2020 in Hamburg stattfinden.

Fotos: Kristina Tonn, zebis