Dokumentation: Von Verdun bis Aleppo – Ethische Wege aus der Gewalt Friedensethischer Einführungskurs für Militärseelsorger/innen und Interessierte, Hamburg 25.-30.06.2017

Auch im 21. Jahrhundert prägen bewaffnete Konflikte unsere Welt. Angesichts dieser Wirklichkeit des Krieges sucht die christliche Friedensethik weiterhin nach moralischen Grundlagen für ein menschliches Zusammenleben in der Völkergemeinschaft, um einen Ausweg aus den Fesseln der Gewalt zu zeigen. Diese Suche stand auch im Zentrum des friedensethischen Einführungskurses für Militärseelsorger/innen und Interessierte, den das Institut für Theologie und Frieden (ITHF) und das Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) vom 25. bis zum 30.06.2017 in Hamburg gemeinsam durchführten. In zweigeteiltem Ablauf wurden dabei die 16 Teilnehmer aus Deutschland, Litauen, Kroatien, Österreich und der Tschechischen Republik vormittags jeweils durch Expertenvorträge in aktuelle friedensethische Herausforderungen eingeführt. Am Nachmittag bearbeiteten sie in drei verschiedenen Arbeitsgruppen jeweils unter der Leitung von Experten/innen des ITHF und des zebis spezifische friedensethische Probleme. Weiter >>

Fotos: Kristina Tonn und Heinrich Dierkes

So stellte Heinz-Gerhard Justenhoven in seinem Vortrag „Von Verdun bis Aleppo“ die Systematik und Entwicklung der katholischen Friedenslehre von 1917-2017 dar. Besonderes Augenmerk legte er dabei auf die Relevanz des internationalen Rechts in der katholischen Friedensethik. Ausgangspunkt eines verbindlichen internationalen Rechtes und der rechtsdurchsetzenden Institutionen sei die Würde der Person, welche es durch Achtung und Sicherung der Menschenrechte zu wahren gelte. Das Anerkennen dieser Würde und die Ausrichtung aller staatlichen Autorität an den Erfordernissen des Menschenrechtsschutzes seien Vorbedingungen für die Realisierung eines universalen Gemeinwohls. Somit soll Frieden durch die Weiterentwicklung des internationalen Rechts und seiner entsprechenden Institutionen angestrebt werden. 

Unter dem Titel „Friedensethischer Paradigmenwechsel – vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden“ führte Alexander Merkl in die Konzeption des gerechten Friedens ein. Ausgehend von der traditionellen Lehre vom gerechten Krieg seit der Antike, erläuterte er den friedensethischen Paradigmenwechsel, welcher sich durch die leidvollen Gewalterfahrungen der Menschheit im 20. Jahrhundert angebahnt hatte. Insbesondere die Enzyklika „Pacem in Terris“ (1963) und die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils „Gaudium et Spes“ (1965) hatten den Grundstein für das Hirtenwort „Gerechter Friede“ (2000) der Deutschen Bischöfe gelegt. Dabei steht nicht mehr die Frage nach den Voraussetzungen für eine legitime Anwendung von Gewalt, sondern vielmehr jene nach den Voraussetzungen für eine friedensfähige Gesellschaft im Mittelpunkt. So ist der Kern des Hirtenwortes die Frage nach Elementen einer innerstaatlichen und internationalen Friedensfähigkeit in sozialethischer Sicht. Ein Ethos der Gewaltfreiheit ist dabei sowohl das zentrale Motiv als auch der Leitfaden des Dokuments. Aus praktischer Sicht nimmt der „Gerechte Friede“ darüber hinaus die Kirchen in die Pflicht, sich aktiv um die Bedingungen für eine gerechte Friedensordnung zu bemühen. 

Wird der Diskurs über „Gut und Böse“ mittels – durchaus richtiger, aber – inhaltsleerer Phrasen geführt, ist dies besonders für den Ethiker misslich, sogar ärgerlich, denn dadurch droht die gesamte Diskussion an Bedeutung zu verlieren. Ohne Zweifel geschieht dies allzu häufig, beispielsweise wenn von „legitimen Interessen“ oder „unteilbarer Verantwortung“ die Rede ist. Ethische Probleme bleiben von solchen Redewendungen jedoch in ihrem Kern unberührt. Daher referierte Bernhard Koch über die wesentlichen „Grundbegriffe der Friedensethik“, um eine inhaltlich schärfere Bestimmung von Kategorien wie „Ethik“, „Recht“ und „Gewalt“ bis hin zu „Frieden“ und den jeweils dazugehörigen Begriffen zu schaffen. Ein solcher gemeinsamer Zeichenvorrat ist für die inhaltliche Auseinandersetzung mit friedensethischen Problemen unverzichtbar. 

Eine Belastungsprobe für den inneren Frieden christlicher Gemeinden in Europa stellte und stellt die massenhafte Migration Schutzbedürftiger seit dem Jahr 2015 dar. Vor diesem Hintergrund wies Alexander Kalbarczyk in seinem Vortrag „Flucht als Unsicherheitsfaktor – Perspektiven der kirchlichen Migrationsethik“ auf die besonderen Herausforderungen der Integration geflüchteter Menschen bei uns hin. Dabei unterstrich er zunächst die besondere Sensibilität des Christentums für Flucht und Migration, welche bereits im Alten Testament verankert sei.  Weiterhin betonte er das positive Verhältnis des Christentums zu Freiheit und Vielfalt und stellte klar, dass es auch angesichts von Herausforderungen durch religiöse Pluralität und kulturelle Unterschiede nach den Prinzipien der katholischen Soziallehre eine Hilfspflicht gebe, welche die Aufnahme Schutzbedürftiger gebiete. 

Veronika Bock führte vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse in ein weiteres Themenfeld friedensethischer Herausforderungen ein. In ihrem Vortrag „Cyberwar – die digitale Front?“ lieferte sie einen Einblick in die aktuell problematischen Nebeneffekte in einer digitalisierten Welt. Angesichts alltäglicher digitaler Attacken auf staatliche und nichtstaatliche IT-Systeme, welche unter Umständen schwerwiegende Auswirkungen auf Betroffene haben können, wird schnell deutlich, dass der Cyber- und Informationsraum Angriffsflächen für feindliche Absichten bietet. Dass jedoch völkerrechtliche Regulierungen für im Cyberspace handelnde Personen bislang nahezu nicht existieren, stimmt dabei hochbedenklich. Versuche einer Regelfindung für den Cyberraum wurden von der Vortragenden vorgestellt, deren Möglichkeiten und Grenzen diskutiert und abschließend mit der Feststellung kommentiert, dass politische, ethische und rechtliche Prinzipien für das Internet noch in der Entwicklung seien und mit dem Tempo technischer Entwicklungen dabei nicht mithalten können.

Nach den Fachvorträgen am Vormittag stand am Nachmittag die vertiefte Auseinandersetzung mit spezifischen Fragestellungen aktueller friedensethischer Herausforderungen im Mittelpunkt.

Dabei erarbeiteten die Teilnehmer in drei verschiedenen Arbeitsgruppen friedensethisches Grundlagen- und Handlungswissen. Unter Leitung von Kristina Tonn und Heinrich Dierkes nahm sich eine AG der Untersuchung von Radikalisierungsprozessen im links- wie rechtsextremistischen, sowie im islamistischen Milieu an.

Noreen van Elk thematisierte den internationalen Terrorismus. In ihrer AG wurden damit im Zusammenhang stehende ethische Fragen erörtert und diskutiert.

Heydar Shadi bot schließlich einen Einblick in die islamische Friedensethik und stellte mit den Teilnehmern seiner AG Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen christlicher und islamischer Friedensethik fest.

Natürlich blieb den Teilnehmern des Kurses neben eingehenden Reflexionen und bereicherndem Erfahrungsaustausch auch ausreichend Zeit und Gelegenheit, sich bei bestem hamburgischem Wetter einen Eindruck von der Elbmetropole zu verschaffen. Das durchweg positive Feedback der Teilnehmer zu der Woche rundete den Kurs ab, und so manch einer unter ihnen hat bereits angekündigt, im nächsten Jahr zum Friedensethischen Vertiefungskurs wieder vorbeizuschauen.