"Eine Woche mit sehr unterschiedlichen, sehr bewegenden und sehr harten Erfahrungen"

8. Internationaler Workshop für Berufsoffiziere zum Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit von Auschwitz (1. bis 5. April 2019)
Eine Kooperation der Maximilian-Kolbe-Stiftung (MKS) und des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis)
Zentrum für Dialog und Gebet, Oswiecim, Polen

Auschwitz ist unvorstellbar und schrecklich real. Das Konzentrationslager steht symbolisch für die zutiefst menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus und die vom NS-Regime ersonnene Tötungsmaschinerie. Und es steht für Erfahrungen, die die Identität unserer Gesellschaften und die Identität Europas nachhaltig prägen. Der Auseinandersetzung mit dem Geschehen und seinen Folgen kommt mithin eine exemplarische Bedeutung für den Umgang mit Gewalterfahrungen und ihren Folgen zu.
Aus diesem Grund treffen sich am Zentrum für Dialog und Gebet in Oswiecim (Polen) seit neun Jahren Berufsoffiziere aus Frankreich, Polen und Deutschland zu einem gemeinsamen Workshop. Soldaten tragen in besonderer Weise Verantwortung für den Umgang mit Gewaltmitteln, sehen sich aber zugleich in besonderer Weise mit den Auswirkungen von deren Einsatz konfrontiert. Ziel des Veranstaltung, die unter der Leitung von Kristina Tonn (zebis) und Dr. Jörg Lüer (MKS) stattfand, ist es, einen gemeinsamen Lernprozess bezüglich des Umgangs mit Gewalterfahrungen und ihren Folgen anzustoßen, die Unterschiede in den verschiedenen nationalen Erinnerungskulturen kennen- und verstehen zu lernen und so auch dem Bemühen um eine gemeinsame militärische Identität Ausdruck zu verleihen.
23 Offiziere aus den drei Nationen sowie ein ziviler Vertreter aus Deutschland nahmen in diesem Jahr an dem Workshop teil. Das umfangreiche Programm gliederte sich in verschiedene Schwerpunkte, die jeweils durch Führungen, Begegnungen, Vorträge und Gespräche erarbeitet werden konnten. Nach einer thematischen Einführung am ersten Tag war der zweite Tag ganz den Führungen über das Gelände des Stammlagers und des Lagers Auschwitz-Birkenau gewidmet. Die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer signalisierten durchweg, wie viel allein das intensive „Ergehen“ und „Erleben” zum Wissens- und Erkenntniszuwachs beiträgt.
Die Gespräche mit den ehemaligen Häftlingen des Stammlagers Auschwitz am Folgetag lie-ßen die Lagerhaft als „Routine des Schreckens“ spürbar werden; diese Begegnungen gehören regelmäßig zu den eindrucksvollsten Erfahrungen des Workshops. Daran schloss sich ein Besuch der Ausstellung des Künstlers und Auschwitz-Überlebenden Marian Kolodzej (†) an. In den Vorträgen der Bundeswehr-Psychologin Nonye Oranu über „Langfristige Folgen von Traumatisierung“ und von Dr. Sara Berger (Fondazione Museo della Shoah in Rom) über „Erfahrungen mit Tätergeschichten“ wurde die Opfer-und-Täter-Thematik wissenschaftlich vertieft.
Am Tag vor der Abreise referierten Dr. Jörg Lüer von der MKS und Dr. Robert Zurek (Stiftung Kreisau) über die „Spannungsreiche Verschiedenheit von Erinnerung an Auschwitz und den Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Polen“. Der Nachmittag war einem Besuch der Synagoge und des Jüdischen Zentrums in Oswiecim gewidmet. Einer der teilnehmenden Offiziere beschrieb seine Wahrnehmung mit den Worten: „Man mag kaum glauben, dass es an diesem Ort wieder ein ‚normales‘ Leben gibt.“ Der Tag wurde mit einem Gedenkakt mit gemeinsamer Kranzniederlegung in Uniform in der Gedenkstätte Auschwitz beschlossen.
Wie können Menschen anderen Menschen derartige Gewalt antun? Wie konnte ein solches System über Jahre Bestand haben? Wie konnten und können die Opfer und ihre Nachfahren mit extrem traumatisierenden Erfahrungen leben? Welche Lehren lassen sich aus dieser im wahrsten Wortsinne dunklen Vergangenheit für das heutige Zusammenleben in Europa ziehen? Wie verorte ich mich, wie würde ich handeln?
An einem Ort wie Auschwitz und bei einer solch intensiven Auseinandersetzung mit seiner Geschichte kann sich niemand diesen Fragen entziehen. Sie standen nicht nur im offiziellen Teil des Programms im Zentrum, sondern auch in den zahlreichen Gesprächen und Diskussionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit den Referenten, den Betreuern und untereinander.
Mit Sicherheit gibt es darauf keine einfachen Antworten. Jeder und jede Einzelne mit seinen Erfahrungen und den übergeordneten Zusammenhängen, in denen er steht, muss sich damit auseinandersetzen. Ein Teilnehmer schrieb im Nachgang zu diesem Workshop von dem „unguten Gefühl, dass die Perfidie und Entmenschlichung immer noch auf der Welt unterwegs sind“. In Auschwitz, dem Ort, an dem sich diese Erfahrungen verdichten, bietet der Workshop Soldatinnen und Soldaten mit ihrer besonderen Verantwortung im Umgang mit Gewalt ein Forum für gemeinsame Reflexion.