5. Internationaler Workshop für Berufsoffiziere zum Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit von Auschwitz

Eine Kooperation der Maximilian-Kolbe-Stiftung (MKS) und des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) mit Unterstützung durch das Zentrum Innere Führung

25. - 29. Oktober 2016 im Zentrum für Dialog und Gebet, Oswiecim (Polen)

Gemeinsames Erinnern für eine gemeinsame Zukunft

Bereits zum fünften Mal fand im Oktober 2016 der Internationale Workshop für Berufsoffiziere zum Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit von Auschwitz unter der Leitung von Kristina Tonn (zebis) und Dr. Jörg Lüer sowie Paul Apinis (MKS) und am Zentrum für Dialog und Gebet, Oswiecim (Polen) statt.
24 Berufsoffiziere aus Polen, Frankreich und Deutschland waren an diesen geschichts- und symbolträchtigen Ort Auschwitz gekommen, um gemeinsam die gewaltbelastete Vergangenheit aufzuarbeiten und daraus für eine gemeinsame Zukunft zu lernen.  

Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs und des Dritten Reichs, ist Auschwitz auch heute noch das Symbol für die Verbrechen der Nationalsozialisten und steht für ein extremes Gewaltgeschehen, das sich oft der Vorstellungskraft entzieht. Wie konnte es zu diesem System von menschenverachtenden Verbrechen kommen? Wie konnte die Masse der Einzelnen zu einem Teil des Systems und damit auch zu Tätern werden? Wie konnten und können die Opfer und ihre Nachfahren mit diesen Gewalterfahrungen und Erinnerungen umgehen und leben?
Zehn polnische, zehn deutsche und vier französische Berufsoffiziere waren in das Zentrum für Dialog und Gebet nach Oswiecim gereist, um im Gespräch mit Überlebenden sowie durch Vorträge und Diskussionen mit Experten über nationale und internationale Erinnerungskulturen, Extremtraumatisierungen und seine Generationen übergreifenden Folgen miteinander ins Gespräch zu kommen und Antworten auf diese Fragen zu finden.
Soldaten tragen durch ihren Dienst in besonderer Weise Verantwortung für den Umgang mit Gewaltmitteln. Zugleich sind sie jedoch ebenso den Wirkungen von Gewalt ausgesetzt. Das gemeinsame Erarbeiten und Erkennen, der zum Teil unterschiedlichen militärischen Erinnerungskultur im Umgang mit Gewalterfahrungen, stellt einen Schwerpunkt dieses Workshops dar.
Auschwitz ist nicht nur ein Symbol für die Verbrechen der Nationalsozialisten, es ist auch ein ganz besonderer, sensibler und beeindruckender Lern- und Erfahrungsort. Der Wirkkraft des Stammlagers Auschwitz und Birkenau, den reinen Ausmaßen der Anlagen, der Perfektion und ständigen Verbesserung der Tötungsmaschinerie kann man sich nicht entziehen. Auschwitz als Erinnerungsort soll nicht nur emotional berühren, sondern auch dazu führen, dass jeder selbst eine Verantwortung übernimmt, damit derartige Verbrechen sich nicht wiederholen. Durch eigenes „Ergehen“ und Wahrnehmen der Konzentrationslager, begleitet durch Führungen, konnten die TeilnehmerInnen am ersten Tag des Workshops ihr Wissen vertiefen und sich ein eigenes Bild davon machen.
Die Zeitzeugen Anna Szalasna, Waclaw Dlugoborski und Karol Tendera sowie die Ausstellung des inzwischen verstorbenen Künstlers und Auschwitzhäftlings Marian Kolodzej, ließen die TeilnehmerInnen an ihren persönlichen (schmerzhaften) Erinnerungen teilhaben und boten darüber hinaus einen Einblick in den Alltag und routinierten Tagesabläufe von Auschwitz und Birkenau.
Diese persönlichen Eindrücke wurden in den folgenden Tagen des Workshops durch themenspezifische Vorträge fachlich ergänzt und vertieft.
Andrzej Kacorzyk, stellvertretender Direktor der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, sprach über die „Erinnerung an Auschwitz als internationale Herausforderung“.
Oberstarzt Dr. Gerd-Dieter Willmund, Leiter der Forschungssektion des Zentrums für Psychiatrie und Psychotraumatologie Bundeswehrkrankenhaus Berlin referierte über die psychologischen und medizinischen Folgen von Traumata zum Thema „Langfristige Folgen von Traumatisierung - Zum psycho-sozialen Umgang mit schwerwiegenden Gewalterfahrungen“.
Die Frage „Wie können Menschen so etwas tun?“ wurde während dieses Workshops häufig gestellt, aber gibt es eine einfache Antwort darauf? Gibt es tatsächlich spezifische Entscheidungsmerkmale in den Biographien der Täter? Diesen Fragen stellte sich die promovierte Soziologin Dr. Michaela Christ, Leitung Forschungsbereich Diachrone Transformationsforschung am Norbert Elias Center der Europa-Universität Flensburg, am Beispiel der Krankgenpflegerin Anna Günter in ihrem Vortrag: „Täter werden – Täter sein“.
Dr. Jörg Echternkamp vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften in Potsdam nahm die Teilnehmer mit auf den „langen Weg vom Opferkult und Gewaltverherrlichung zu einer angemessenen europäischen militärischen Erinnerungskultur“.
Neben dem inhaltlichen und fachlichen Angebot, war für die TeilnehmerInnen vor allem der Austausch und der Dialog mit den TeilnehmernInnen aus den anderen Nationen von großer Bedeutung. Welcher Weg ist nötig, um aus ehemaligen Feinden Verbündete, Freunde zu machen und was können wir daraus für die heutige Zeit, die aktuelle weltpolitische Lage lernen?
Deutlich wurde, dass es nie nur eine einfache Antwort gibt. Selbst rückblickend in der Aufarbeitung der Geschichte, gibt es eine Vielzahl von Einflussfaktoren - die Zusammenhänge der Interaktionen von Menschen, Staaten und politischen Systemen sowie der Komplexität und Vielschichtigkeit von Gewalterfahrungen.
Daraus ergeben sich für jeden einzelnen die Fragen und Anforderungen: Wie verordne ich mich selbst in einem System und wie und in welchem Ausmaß handele ich? Dies betrifft SoldatenInnen als potentielle Gewaltträger in ganz besonderen Maße. 
Diesen, auch sehr persönlichen Fragen, Zeit und Raum zu geben, widmet sich der Workshop.

Kristina Tonn