Operation Frieden: Podiumsdiskussion zur Strategischen Vorausschau und Krisenprävention am 30.11.2017 in Berlin

„Operation Frieden – Was kann Strategische Vorausschau zur Früherkennung und Krisenprävention beitragen?“ Unter diesem Titel veranstaltete das zebis in Kooperation mit der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) und dem Zentrum Innere Führung (ZInFü) am 30.11.2017 eine Podiumsdiskussion in der Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz in Berlin. Referenten auf dem Podium waren der Katholische Militärbischof für die Bundeswehr, Dr. Franz-Josef Overbeck, der Beauftragte des Auswärtigen Amtes für zivile Krisenprävention und Stabilisierung, Botschafter Ekkehard Brose, Vizeadmiral Joachim Rühle, stellvertretender Generalinspekteur der Bundeswehr, sowie der Vorstandsvorsitzende der Daimler und Benz Stiftung Prof. Dr. Eckard Minx. Moderiert wurde die Veranstaltung von ZEIT-Redakteur Dr. Jochen Bittner.

Allein die große Resonanz – die Veranstalter zählten rund 200 Gäste, darunter zahlreiche Vertreter aus Politik, Militär und NGOs – verdeutlichte die Aktualität des Themas. Krisenprävention und -früherkennung stehen im Zentrum eines neuen Verständnisses von Sicherheitspolitik, das in den außenpolitischen Leitlinien der Bundesregierung und im Weißbuch 2016 formuliert wird und diese als planende und gestaltende Instanz versteht. Ebenso ist  Krisenprävention Grundtenor des „Gerechten Friedens“ als Leitbild beider Kirchen.

Strategische Vorausschau bezeichnet systematische Ansätze zur methodisch fundierten und kontinuierlichen Auseinandersetzung mit möglichen Szenarien und denkbaren „Zukünften“, um besser auf diese vorbereitet zu sein und sie, soweit möglich, zu beeinflussen. Wie können diese Ansätze für ressortübergreifende politische Prozesse der Krisenprävention, für die Friedenspolitik und Friedensethik fruchtbar gemacht werden? Welche Erfahrungen gibt es in Wirtschaft und Bundeswehr mit derartigen Ansätzen?

„Preparedness“ oder „Fahren auf Sicht“

Bereits in den Grußworten wurde die Bedeutung eines vorausschauenden Denkens angesichts der zahlreichen sicherheitspolitischen Herausforderungen deutlich. Dr. Veronika Bock, Direktorin des zebis, wies unter anderem auf die Notwendigkeit hin, politische, völkerrechtliche und ethische Antworten auf die Digitalisierungs- und Autonomisierungsprozesse im Bereich letaler Waffensysteme zu geben. Wolfgang Rudischhauser, Vizepräsident der BAKS, betonte, dass der sicherheitspolitische Diskurs kein Elitendiskurs sein dürfe und für schwierige ethische Entscheidungen die Partizipation von Bürgern, Medien und vielen anderen „Stakeholdern“ erforderlich sei. Abschließend legte der Kommandeur des ZInFü Generalmajor Reinhardt Zudrop dar, dass die Strategische Vorausschau auch für die Weiterentwicklung des Leitbilds der Inneren Führung relevant sein kann. Am Beispiel des Völkermords in Ruanda stellte er aber auch kritisch heraus, dass der Schritt von „early warning“ zu „early action“ nicht immer rechtzeitig erfolgt sei – ein Thema, das an diesem Abend noch mehrfach zur Sprache kommen sollte.

Im Folgenden entwickelte sich, angeregt auch durch Fragen und Wortbeiträge aus dem Publikum, eine ebenso lebhafte wie profunde Diskussion über Theorie und Praxis, Einsatzmöglichkeiten und Grenzen der Strategischen Vorausschau im außen- und sicherheitspolitischen sowie friedenethischen Kontext.

Dabei warnte Botschafter Brose vor überzogenen Erwartungen an das Potenzial von Foresight. Trotz der Anwendung von Methoden der Krisenfrüherkennung sei es schwierig, den Zeitpunkt für ein präventives Eingreifen zu bestimmen. Für die Entwicklung und Auseinandersetzung mit Szenarien als Denkmöglichkeiten fehlten die Kapazitäten, und ein systematischer Prozess zur Bewertung von Erkenntnissen und zur Ableitung von vorbeugenden Maßnahmen sei erst im Wachsen. Zudem trage der öffentliche Meinungsbildungsprozess dazu bei, dass sich die Politik mit dem aktuellen Geschehen befassen müsse, während Krisenprävention – also die Beschäftigung mit dem noch nicht Sichtbaren – nur schwer zu vermitteln sei; zumal es nicht jede Krise zu verhindern gelte, siehe das Beispiel Arabischer Frühling. Erfolge verzeichne man vor allem bei der nachhaltigen Krisennachsorge: Hier engagiere sich Deutschland aktuell – teils federführend, teils unterstützend – in rund 45 Mediationsprozessen weltweit.

Professor Minx rief – auch in Reaktion auf die Redebeiträge des Botschafters – mehrfach in Erinnerung, wie wichtig ein klares Bekenntnis und ausreichende Kapazitäten für die strategische Vorausschau seien. Hoch qualifiziertem Personal ausreichend Raum für das „Denken auf Vorrat“ zu schaffen dürfe nicht als Luxus betrachtet werden. Sich davon allerdings eindeutige Antworten auf kommende Herausforderungen zu erhoffen, sei symptomatisch für das Denken in alten Kategorien und das Verkennen komplexer Zusammenhänge. Foresight habe vielmehr zum Ziel, mithilfe von Gedankenexperimenten und Fantasie eine Vorstellung für potenzielle Zukünfte zu entwickeln – und im Zweifelsfall „Schubladen“ mit möglichen Reaktionen auf mögliche Krisen öffnen zu können.

Menschen statt Systeme

Bischof Dr. Overbeck bezog im Zusammenhang mit Krisenprävention als Bestandteil der „responsibility to protect“ klar Position dafür, den Blick zu weiten und ihn auch in die Geschichte und auf die Menschen zu richten. Gerade mit Blick auf den Irak und Syrien habe sich gezeigt, dass man mit eher interessengeleiteten Interpretationen von Gegenwartsproblemen nicht an den Kern der Herausforderungen gelange. So hätten beispielsweise Deutschland und andere postsäkulare Gesellschaften die Bedeutung von Religion in den genannten Krisenregionen völlig unterschätzt. Es fehle an Respekt für anderes Denken und andere Traditionen. Präventiv ansetzende Gerechtigkeit als Voraussetzung für Frieden beinhalte eine individuelle Perspektive – etwa den Zugang zu Bildung und Gesundheitsvorsorge – sowie eine soziale Komponente, bestehende gesellschaftliche Gefüge nicht einfach zu zerstören. Für Prozesse der Versöhnung brauche es allerdings immer herausragende Menschen, die bereit seien, mit ihrer gesamten Persönlichkeit für Versöhnung einzustehen.

Der Mensch im Mittelpunkt – an diesen Punkt knüpfte auch Vizeadmiral Rühle aus Sicht der Bundeswehr an. Richtig verstanden, könne Foresight keine Eintrittswahrscheinlichkeiten bestimmen, aber plausible Szenarien entwickeln. Nicht zuletzt mit Blick auf die ethisch problematische Autonomisierung von Waffensystemen bildeten diese die Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzungen mit der Frage, welche Technologien gewünscht seien und welche nicht. Die Bundeswehr jedenfalls investiere nach wie vor in den Soldaten; die Zukunft gehöre nicht dem Kampf „Maschine gegen Maschine“.

Die abschließende Antwort von Botschafter Brose auf eine Frage aus dem Publikum fiel weniger optimistisch aus: Die Chancen für das Zustandekommen eines Verbotsvertrags zu letalen vollautonomen Waffensystemen schätze er als gering ein.

So zeigte der Abschluss dieser facettenreichen Diskussion noch einmal beispielhaft die Notwendigkeit auf, vor dem Hintergrund der zahlreichen sicherheits- und friedenspolitischen Herausforderungen „alternative Zukünfte“ zu denken.