Moral und Recht nicht deckungsgleich

Macht Töten im Krieg immer schuldig? - eine Fortbildungsveranstaltung des Zentrums für ethische Bildung

Die Brisanz des Themas, zu dem sich Soldatinnen und Soldaten auf Einladung des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) am 11. Mai 2011 im Bonner MünsterCarré einfanden, war von Anfang an gegeben. Aktualität gewann das Thema auch deshalb, weil in der Nacht zum 2. Mai Osama Bin Laden im Rahmen einer von US-Präsident Barack Obama befohlenen Aktion von Elitesoldaten in seinem Anwesen in Pakistan erschossen worden war. Obwohl dies bereits einige Tage zurücklag, konnte unter den teilnehmenden Soldatinnen und Soldaten – zumeist Stabsoffiziere und Soldaten mit Einsatzerfahrung – registriert werden, dass dies nicht spurlos an einem vorbeizog. Es war gleichsam ein unausgesprochenes Tagungsthema, welches nicht nur die Gespräche am Rande bestimmte. „Macht töten im Krieg immer schuldig?“ Wenngleich sich diese Frage – von jeher und seitdem Kriege in aller Welt ausgetragen werden – immer wieder stellt, so ist es in diesem Kontext lohnenswert, die dazu entwickelten unterschiedlichen moralischen und rechtlichen Begründungs- und Rechtfertigungs-Paradigmen zu reflektieren. Dies hatte sich die Leiterin des zebis Dr. Veronika Bock vorgenommen, die in ihrem Statement zur Eröffnung des eintägigen Seminars darauf hinweisen konnte, dass nun die Themenstellung erweitert wurde – auf Initiative von General a. D. Karl-Heinz Lather, ehemaliger Stabschef im NATO-Hauptquartier Europa, dem Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), anlässlich der vorigen Tagung zu „Targeted Killing – Legitimes Töten?“.

Generell sollte es in dieser zebis-Veranstaltung darum gehen, das Töten im Krieg sowohl in moralischer als auch (völker-) rechtlicher Hinsicht einzuordnen und mit Blick auf eigenes schuldhaftes Verhalten als handelnder Soldat zu reflektieren. Mithin war dem engagierten katholischen General im Ruhestand erneut Gelegenheit gegeben, aus militärischer Sicht und eingebunden in die christliche Sicht der Dinge, seinen Standpunkt zu referieren. Lather erinnerte an die in der kirchlichen Lehrtradition seit dem II. Vatikanischen Konzil und in Hirtenworten der Deutschen Bischöfe entwickelten Grundsätze. Ergänzt durch völkerrechtliche Regelungen und Verfahrensgrundsätze ist jedoch – so Lather – nicht in Gänze auszuschließen, dass Soldaten in der konkreten Entscheidungssituation wie in Gefechten, in ein Dilemma geraten. Deshalb gilt es seiner Meinung nach, das Thema „Schuld des Soldaten“ nicht nur individuell, sondern kollektiv aufzuarbeiten. Jeff McMahan, der als Professor für Philosophie an der Rutgers University in New Jersey (USA) lehrt, zählt seit geraumer Zeit zu den wichtigsten analytischen Moralphilosophen im angloamerikanischen Raum. Seine Überlegungen, die er unter der Überschrift „Killing in War“ und in der deutschsprachigen Übersetzung verbunden mit der Fragestellung „Kann Töten gerecht sein?“ vortrug, umfassten den moralphilosophischen und über die Jahrhunderte gewachsenen Ansatz der Unterscheidung bezüglich des Rechtes zum Krieg (jus ad bellum) und des Rechtes im Krieg (jus in bello). Gemäß der traditionellen Theorie sind individuelle Kombattanten moralisch nur für den Gehorsam gegenüber den Grundsätzen des jus in bello zuständig. Die Grundsätze des jus ad bellum, so McMahan, gelten für sie nicht. „Von Soldaten wird in dieser Sichtweise moralisch nicht gefordert zu entscheiden, ob ein Krieg, in welchem sie kämpfen, gerecht ist, oder ob sie nur in gerechten Kriegen kämpfen. Sie haben auch dann das Recht zu kämpfen, wenn es sich um einen ungerechten Krieg handelt. Alles, was die Moral von ihnen verlangt, ist, dass sie den Grundsätzen des jus in bello gehorchen, von welchem die Kriegsführung geleitet ist“, so der US-amerikanische Moralphilosoph, der damit, und mit einigen weiteren, diesen Grundsatz vertiefenden, Argumenten eine breite und lebhafte Debatte im Plenum eröffnete. In deren Mittelpunkt standen Fragen nach der Unterscheidung zwischen „ungerechten und gerechten Kombattanten“, die moralisch nicht gleichgestellt sind. McMahan selbst fasst nämlich das jus in bello und das jus ad bellum durchaus in eine moralische Überlegung zusammen. Seiner Meinung nach muss auch der Soldat überlegen, ob er als „gerechter Kombattant“ für eine gerechte Sache kämpft, oder als „ungerechter Kombattant“ für ungerechte Ziele. Nur als „gerechter Kombatttant" darf er moralisch gerechtfertigt kämpfen. Hingewiesen wurde in der Diskussion auf die Problematik der Begriffe. So kennt zumindest die westeuropäische Tradition ausschließlich den Begriff des „Kombattanten“, an den zwingende Kriterien gebunden sind. Die Verwendung der Bezeichnung „ungerechter Kombattant“ ist der westeuropäischen Sicht eher fremd. Scharf formulierte in diesem Zusammenhang ein Teilnehmer: „Entweder jemand ist Kombattant, dann darf er als militärisches Ziel bekämpft werden, Oder, er ist Nicht – Kombattant, dann ist es nicht erlaubt, ihn zu bekämpfen“. Sofern Zivilisten gleichsam als Kombattanten wirken, sind auch diese militärische Ziele, die als solche, und unter Vermeidung vorsätzlicher oder fahrlässiger Verursachung exzessiver Kollateralschäden, bekämpft werden dürfen. Wesentlich vertieft und weiter fortgeführt werden konnten diese grundsätzlichen aber auch aktuellen Fragestellungen in wechselnden Arbeitsgruppen, in denen sowohl Lather als auch McMahan Gelegenheit hatten, ihre Ansätze weiter zu erläutern.

Ministerialrat Peter Dreist, der als Referatsleiter im Bundesministerium der Verteidigung sowohl als Rechtsberater als auch Wehrdisziplinaranwalt beim Inspekteur der Luftwaffe tätig ist, verdeutlichte in der Arbeitsgruppe, die von ihm geleitet wurde, die erheblichen Unterschiede zwischen einem Kriegs- und einem Friedensrecht. Er betonte dabei insbesondere, dass die Vorstellung, es gebe noch gerechte und ungerechte Kriege, aus rechtlicher Sicht unzutreffend ist. „Heute“, so der langjährige Rechtsexperte, „gilt als Regel für die zwischenstaatlichen Beziehungen das universelle Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen, das die Androhung und Anwendung bewaffneter Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen ächtet, und davon gibt es Ausnahmen, die innerhalb der Charta geregelt sind.“ Mit Blick auf einen nicht – international bewaffneten Konflikt, bei der Terrorismusbekämpfung und bei Friedens- und Krisenreaktionsoperationen gelten jedoch die Regelungen anders. Im nicht – internationalen bewaffneten Konflikt, wie zum Beispiel in Afghanistan, gibt es aus völkerrechtlicher Sicht nur einige Mindestregelungen. Insbesondere existiert weder ein Kombattantenbegriff und -status. Dies sei, so Dreist, mit Blick auf den Schutz der Zivilbevölkerung, in ihren Folgen erheblich. Zivilpersonen, die ohne dazu berechtigt zu sein, aktiv an den Kampfhandlungen teilnehmen, verlieren ihren Schutz als Zivilpersonen und dürften bekämpft werden“, so der Rechtsberater, der in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Einzelfällen aus dem Bereich eines „nicht – international bewaffneten Konfliktes“ in der Arbeitsgruppe zur Diskussion stellte.

Prof. Dr. Stefan Oeter, der als Professor für öffentliches Recht, Völkerrecht und ausländisches Recht an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Hamburg lehrt, diskutierte in der Arbeitsgruppe, die unter seiner Leitung sich zusammen fand, das Unterscheidungsgebot und das Verbot unverhältnismäßiger Kollateralschäden. Letzteres, gerade mit Blick auf die Auswirkungen hinsichtlich der Frage nach einer individuell zu verantwortenden Schuld, wird schwerlich, so die Diskussionen in der Arbeitsgruppe, juristisch exakt handhabbar zu machen sein. Trotz Beispielen aus zurückliegenden Kriegen wird es im abschließenden Sinne nicht zufriedenstellend juristisch zu regeln sein, ob Kollateralschäden immer als Kriegsverbrechen einzustufen sind. Zumeist sind die Ermittlungen der Umstände des jeweiligen Einzelfalles, wie z.B. in der Bombardierung der gestohlenen Tanklastzüge in Kunduz im vergangenem Jahr, von den in Deutschland zuständigen Staatsanwaltschaften, nur bedingt zu bewältigen. Der Ruf nach Schwerpunktstaatsanwaltschaften sei also berechtigt. Die Einstellung des Verfahrens durch den Bundesgerichtshof kann als gute Entscheidung in der Sache bewertet werden.

Prof. DDr. Antonio Autiero, der an der Universität Münster den Lehrstuhl für Moraltheologie inne hat und zu Fragen der Moral der Terrorismusbekämpfung forscht, bearbeitete in der von ihm geleiteten Arbeitsgruppe die Frage dem ethischen Umgang mit Grenzfragen im Militärwesen. Im Mittelpunkt standen dabei sowohl grundsätzliche als auch aktuelle Fragen nach dem individuellen Gewissen, dem Gehorsam und der Verantwortung. Von Interesse unter den teilnehmenden Soldatinnen und Soldaten war dabei insbesondere in Erfahrung zu bringen, wie es sich aus Sicht der katholischen Moraltheologie mit der Frage und den Antworten im Umgang mit Schuld und Sünde verhält.

Abgeschlossen wurde das eintägige Seminar mit dem Dank an die vortragenden Referenten und den engagierten Diskussionen aus dem Kreis der Soldatinnen und Soldaten, den die Direktorin des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften, Dr. Veronika Bock, aussprach.

Josef König