Friedensethik in Zeiten von Automatisierung und Digitalisierung: Friedensethischer Vertiefungskurs für Militärseelsorger/-innen und Interessierte, 17. bis 22. Juni 2018

Digitalisierung, Vernetzung, Autonomisierung – Vokabeln, die bereits unseren Alltag prägen und tiefgreifend verändern. Und natürlich wirkt sich das auch auf die Streitkräfte, wirkt sich das auf die Art und Weise aus, wie mit Konflikten umgegangen wird. Auf nationaler wie auch internationaler Ebene. Cyberwar und Cybersicherheit, Drohnen und andere „autonome“ Waffensysteme stehen hier im Fokus, aber auch der Einfluss sozialer Medien auf die Meinungsbildung. „Digitalisierung wird das Mega-Thema der Zukunft sein“, hat Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen gesagt – und damit beschrieben, was auch im diesjährigen Friedensethischen Kurs des Instituts für Theologie und Frieden (ithf) und des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) immer wieder angesprochen, beleuchtet und beurteilt wurde: die Veränderung des Konfliktaustrags, die zunehmende Abhängigkeit von digitalen Technologien und schließlich die Fragen an das Menschenbild angesichts solcher umfassenden Veränderungen.

Auch in diesem Jahr war die Tagung wieder international besetzt. 20 Teilnehmende aus der Slowakei, Bosnien-Herzegowina, Litauen, der Ukraine, Kroatien und natürlich aus Deutschland wurden am Vormittag im St. Ansgar-Haus durch Expertenvorträge und die sich anschließenden Diskussionen grundsätzlich in die unterschiedlichsten Aspekte der Digitalisierung und Automatisierung im Bereich des zivilen Lebens und des Militärs eingeführt.

Erleben wir eine „Rückkehr des Kalten Krieges?“, fragte Professor August Pradetto im Eingangsreferat der Tagung – vorgestellt und moderiert von Professor Heinz-Gerhard Justenhoven, dem Direktor des ithf. Hier ging es unter anderem darum, die Entwicklung der Beziehungen zwischen der NATO und Russland zu beleuchten. Besonders interessant fanden die Zuhörerinnen und Zuhörer die historischen Rückblicke und den Fokus auf die Grundlagen dieses zunehmend schwierigen Verhältnisses.

Am Dienstagvormittag erläuterten Dr. Bernhard-Wilhelm Rinke von der Universität Osnabrück und Dr. Bernhard Koch (ithf) grundsätzliche Aspekte der Digitalisierung. Dr. Rinke gab einen strukturierten Überblick über die fundamentalen ethischen Fragestellungen im Zusammenhang mit autonomen Waffensystemen. Im Anschluss fragte Dr. Koch provokant: „Was ist Künstliche Intelligenz (KI) – und gibt es das überhaupt?“ und klärte in seinem Vortrag viele Konzepte – beispielsweise, worin die viel beschworene „Autonomie“ autonomer Waffensysteme eigentlich besteht.

Der Mittwochvormittag war der Cybersicherheit gewidmet. Die Direktorin des zebis, Dr. Veronika Bock, moderierte Dr. Marcel Dickow an, Forschungsgruppenleiter „Sicherheitspolitik“ bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. In seinem Vortrag nahm er Stellung zu ethischen, rechtlichen und politischen Aspekten des Themas „Cyberwar“. Dabei vermied er gerade diesen Begriff, weil für ihn der Ausdruck „Krieg“ in diesem Fall nicht passend sei. Es schloss sich ein Referat von Ministerialdirigent Andreas Könen an, der im Bundesministerium des Inneren, für Bauen und Heimat Abteilungsleiter für den Bereich IT- und Cybersicherheit ist. An Beispielen aus der Praxis zeigte er auf, vor welchen Herausforderungen Technik und Politik aktuell stehen und wie man sich auf Bedrohungen im und aus dem Cyberraum einstellen will.

Konkret wurde es auch am Donnerstag, als zunächst Dr. Christian Mölling von der Gesellschaft für Auswärtige Politik über den „Irrsinn und Nutzen von Atomwaffen“ referierte. Es wurde deutlich, dass alte Muster der Reaktion auf Bedrohungsszenarien wieder Raum gewinnen, nämlich die Verstärkung der militärischen Abwehr – auch in Form von Nuklearwaffen – und das Wiederbeleben der alten Feindbilder aus den Zeiten des Kalten Kriegs. Insgesamt machte er den Teilnehmern wenig Hoffnung auf nukleare Abrüstung; wie die stagnierenden Abrüstungsbemühungen der Atommächte zeigten, sei die „Phase des nuklearen Lernens“ offensichtlich vorbei. Dass man angesichts dessen nicht resignieren dürfe, dafür plädierte anschließend vehement Professor Heinz-Günter Stobbe. Er skizzierte die Position der katholischen Kirche zu Nuklearwaffen und unterzog die atomare Rüstung und Abschreckungsstrategie einer Fundamentalkritik. „Nukleare Abrüstung als ethisches Gebot“ war daher auch sein Vortrag überschrieben.

Am Freitag schloss Prof. Andreas Bock von der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften die Reihe der Vorträge ab. In seinen Ausführungen ging er auf neuste Erkenntnisse der Konflikt- und Katastrophenforschung ein. Insbesondere widmete er sich dem Terrorismus und seinen medialen Strategien und führte überzeugend aus, warum die übliche staatliche Reaktion – Repression bis hin zum „war on terror“ – nicht nur unethisch ist, sondern den Terroristen in die Hände spielt. 

Auf jeden der Vorträge folgte eine lebhafte Diskussion unter den Teilnehmenden. Nach der Mittagspause ging es jeweils in die Katholische Akademie, wo das ithf und das zebis beheimatet sind. Hier fanden drei von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beiden kooperierenden Institute geleitete Arbeitsgruppen statt, auf die sich die Teilnehmenden aufgeteilt hatten: „Populistische Strömungen“, „Islamische Friedensethik“ und „Cyberethik“. So konnte das ohnehin breite Themenspektrum noch einmal wesentlich erweitert werden. Darüber hinaus gab es am Mittwochmittag unter Leitung der Trainerin Sabine Niestrath Gelegenheit zur Besprechung schwieriger Situationen aus dem LKU und geeigneter Lösungsansätze.

Neben den Vorträgen, Gesprächsrunden und Arbeitsgruppen blieb genug Zeit und Gelegenheit, sich persönlich auszutauschen und die Elbmetropole Hamburg erneut oder ganz neu kennenzulernen. Die Besichtigung der Plaza der Elbphilharmonie oder auch eine gemeinsame Hafenrundfahrt boten sich dazu an. Doch auch hier wurde es dann wieder und wieder dienstlich, man besprach viel und knüpfte Kontakte, die weit über die Arbeitswoche in Hamburg hinaus wirken.