Deutschland und seine traumatisierten Soldaten

Die Direktorin des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis), Dr. Veronika Bock, plädierte dafür, die Leistung der im Ausland eingesetzten Bundeswehrsoldaten mehr zu würdigen und die daraus resultierenden Belastungen für den einzelnen Soldaten ernst zu nehmen. „Das Thema PTBS geht uns alle an, es gehört in die Mitte der Gesellschaft“, sagte Bock.

Hamburg, 26.01.2011, Josef König.

Das Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis), welches vor knapp einem Jahr seiner Bestimmung übergeben wurde und am Hamburger Institut für Theologie und Frieden (IThF) angesiedelt ist, veranstaltete in Kooperation mit der Katholischen Akademie Hamburg eine Podiumsdiskussion, in deren Mittelpunkt „Krieg in der Seele – Deutschland und seine traumatisierten Soldaten“ stand. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem der deutsche Bundestag zum elften Mal das Mandat für den Einsatz deutscher Streitkräfte in Afghanistan verlängerte.

Deutschland ist derzeit mit 4.500 Soldaten einer der größten Truppensteller der International Security Assistance Forces (ISAF), welche unter NATO-Führung seit 2001 die Islamische Republik Afghanistan bei der Herstellung von Sicherheit und Stabilität in militärischer Hinsicht unterstützen. Das Mandat für die Beteiligung deutscher Soldaten am ISAF-Einsatz wurde erstmals am 22. Dezember 2001 erteilt. Von Anfang an dabei war die „Kirche unter Soldaten“, die in allen Kontingenten mit Militärpfarrern seelsorgliches und weit darüber hinaus gehendes Engagement für die Soldatinnen und Soldaten unter Beweis stellte. Vielfach sind Militärseelsorger zusammen mit Psychologen und Vorgesetzen unmittelbar Beteiligte im soldatischen Alltag.

Seit Soldatinnen und Soldaten dem Auftrag nachkommen, den ihnen der Deutsche Bundestag erteilt, ringen Öffentlichkeit und Politik um Begrifflichkeiten und Worte, die zutreffend das beschreiben sollen, was in Afghanistan passiert: Mission für den Frieden? Hilfe für den Aufbau? Kampfeinsatz und Gefecht? Ein Mehr an Klarheit darüber besteht jedoch erst seit dem Zeitpunkt, ab dem von einem internationalen bewaffneten Konflikt die Rede ist.

Ähnlich verhält es sich mit Begriffen und Phänomenen, die bereits seit längerem mit der Abkürzung PTBS umschrieben werden. „Posttraumatic disorder“ als „posttraumatische Belastungsstörung“ übersetzt, beschreibt die psychischen Reaktionen und Folgewirkungen bei Extrembelastungen, denen Soldatinnen und Soldaten insbesondere in Gefechtssituationen und Kampfhandlungen ausgesetzt sind. Nach aktuellen Angaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr sind im Jahr 2010 offiziell 729 Soldaten der Bundeswehr an PTBS erkrankt. Die Tendenz ist steigend, weil unstrittig ist, dass PTBS vielfach erst zu einem erheblich späteren Zeitpunkt diagnostiziert werden kann. Und vielfach liegen gerade darin die Probleme und rücken die Einsatzbelastungen der Soldaten sowie ihrer Angehörigen langsam mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit.

Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie Hamburg

Für 130 Soldatinnen und Soldaten der Führungsakademie, studierende Offiziere der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr und Militärgeistliche des Katholischen Militärdekanates Kiel war nun in der Aula der Katholischen Akademie Gelegenheit, grundsätzliche und aktuelle Fragen des Phänomens „posttraumatische Belastungsstörungen“ zu diskutieren. Auf dem Podium moderierte Dr. Step Loos, Katholische Akademie Hamburg, das Gespräch mit Oberstarzt Dr. Karl-Heinz Biesold, Leitender Arzt der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg, dem Katholischen Militärpfarrer Bernd Schaller, der Dokumentarfilmerin Astrid Schult und dem Leiter des Grundsatzreferates im Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Ministerialrat Fritz Günther. Erleichtert wurde dies durch Ausschnitte aus dem Film „Der Innere Krieg“, der einen amerikanischen Alltag in Deutschland dokumentiert: Verletzte Soldaten werden im US-Militärkrankenhaus in Landstuhl medizinisch versorgt. Zwischen den Behandlungen finden sie und ihre Angehörigen im „Fisher House“ eine vorübergehende Heimat. Ein Film über die Auswirkungen der Kriege im Irak und Afghanistan auf Amerikaner und Deutsche in der pfälzischen Provinz. Für den Leitenden Arzt und Psychiater Biesold sind dies keine neuen Phänomene, und seine Botschaft war deutlich: Es gibt derartige Störungen, aber es gibt auch Hilfe. Bis zu einem gewissen Grad kann man sich vorbereiten, dennoch kann man bei bester Vorbereitung verletzt werden. Das gilt für die körperliche wie die seelische Verletzung, doch es gibt Hilfsangebote. Es ist wichtig, dass diese Hilfsangebote den Soldatinnen und Soldaten bekannt sind. In therapeutischer Hinsicht überwiegen seiner Auskunft nach Gesprächs- und Kommunikationstherapien. Mit knapp 30% sind auf Medikamente gestützte Therapien eher nachrangig, aber nicht unbedeutend. Für den Erfolg sei die soziale Unterstützung von großer Bedeutung. Die mangelnde Anerkennung ihrer Störung und die fehlende Akzeptanz der in Afghanistan eingesetzten Soldaten in der Bevölkerung erschwerten den Therapieerfolg. „Viele Betroffene haben das Gefühl: Erst halte ich für euch meinen Kopf hin, und hinterher kriege ich noch einen Tritt“, fügte der Oberstarzt hinzu. Militärpfarrer Bernd Schaller, der selbst vier Monate in Afghanistan als Seelsorger eingesetzt war, unterstütze ihn darin. Wichtig, so der in Notfallseelsorge ausgebildete Geistliche, ist das Funktionieren des psychosozialen Netzwerks, welches in seiner personellen Zusammensetzung gute Voraussetzungen dafür bietet, körperlich wie seelisch verletzten Soldaten zur Seite zu stehen. Für Militärpfarrer Schaller gilt zusätzlich die Wahrung des Beichtgeheimnisses. „Das wissen die Soldatinnen und Soldaten und können darauf vertrauen, dass es auch gewahrt bleibt.“

Ministerialrat Fritz Günther, der zuvor den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, wegen dringender Verpflichtungen in Berlin entschuldigen musste, verwies ergänzend zu den vorherigen Statements darauf, dass in Jahresberichten des Wehrbeauftragten sehr frühzeitig der Deutsche Bundestag, der Verteidigungsausschuss und der Bundesminister der Verteidigung unterrichtet wurden. Er konnte auch darüber informieren, dass Behandlung und Versorgung einsatzbedingter Belastungsstörungen verbessert worden sind. Jedoch „ist eine weitergehende Optimierung der aktuellen Situation psychisch betroffener Soldaten dringend notwendig“, so der Referatsleiter. Er wies darauf hin, dass das Anerkennungsverfahren für eine Wehrdienstbeschädigung nachhaltig zu reformieren sei. Die hohe Quote abgelehnter Wehrdienstbeschädigungen, die in PTBS-Fällen mehr als zwei Drittel ausmacht, ist nach Auskunft des Beamten zurückzuführen auf den nur „schwer zu führenden Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs der Schädigung durch den Dienst“. Vielfach wird dies von betroffenen Soldaten und gerade ihren Familienangehörigen beklagt.

Mit dem aus dem Plenum vorgetragenen Wunsch, ähnliche Veranstaltungen erneut durchzuführen, endete eine zweistündige Podiumsveranstaltung, die ihrem Weiterbildungs- und Informationscharakter gerecht wurde.

Josef König