Internationaler Workshop für Berufsoffiziere zum Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit von Auschwitz

Eine Kooperation der Maximilian-Kolbe-Stiftung und des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften mit Unterstützung durch das Zentrum Innere Führung

26. - 30. Oktober 2015 im Zentrum für Dialog und Gebet, Oswiecim (Polen)

Auschwitz als Symbol für extremes Gewaltgeschehen

Gewaltbelastete Vergangenheit aufarbeiten und daraus lernen - dafür entschieden sich 23 Berufsoffiziere aus Polen, Frankreich und Deutschland. Bereits zum vierten Mal fand Ende Oktober der internationale Workshop für Berufsoffiziere zum Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit von Auschwitz am Zentrum für Dialog und Gebet, Oswiecim (Polen) statt. Auch heute noch gilt dieser Ort als Symbol für extremes Gewaltgeschehen und als besonderer Lern- und Erfahrungsort. Bei der Veranstaltung handelt es sich um eine Kooperation der Maximilian-Kolbe-Stiftung und des zebis mit tatkräftiger Unterstützung durch das Zentrum Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz. 

Das Konzentrationslager Auschwitz steht exemplarisch für Erfahrungen, die die Identität unserer Gesellschaften und die Identität Europas nachhaltig geprägt haben und noch heute prägen. Die Unterschiedlichkeiten der Erinnerung in den jeweiligen Nationen spiegelt die Komplexität dieses immer noch unfassbaren Gewaltgeschehens wider.
Der Ort Auschwitz, das Gespräch mit Überlebenden, Referate und Diskussionen mit Experten über die Folgen von Traumatisierungen – wie dem Holocaust – und seine Generationen übergreifenden Folgen, sind zu einem aufgrund der Geschichte eine besondere Herausforderung zum anderen aber auch Anspruch und Einladung miteinander ins Gespräch zu kommen.
Wie kann in der Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Bedeutung  von Auschwitz ein gemeinsamer Lernprozess entstehen und was kann getan werden, um die Wiederkehr solcher Gräuel zu verhindern? Welche nationalen militärischen Erinnerungskulturen in Bezug auf den Holocaust gibt es?

Diesen und weiteren Fragen stellten sich 23 Teilnehmer aus drei Nationen unter der Leitung von Dr. Jörg Lüer und Paul Apinis, Maximilian Kolbe Stiftung und Kristina Tonn, zebis.
Zehn polnische, zehn deutsche und drei französische Berufsoffiziere waren in das Zentrum für Dialog und Gebet nach Oswiecim gereist, um an diesem sensiblen Ort im Gespräch mit Überlebenden, durch Vorträge und Diskussionen mit Experten über Extremtraumatisierungen und seine Generationen übergreifenden Folgen miteinander ins Gespräch zu kommen.

Soldaten tragen durch ihren Dienst in besonderer Weise Verantwortung für den Umgang mit Gewaltmitteln. Zugleich sind sie jedoch ebenso den Wirkungen von Gewalt ausgesetzt. Das gemeinsame Erarbeiten und Erkennen der zum Teil unterschiedlichen militärischen Erinnerungskultur im Umgang mit Gewalterfahrungen stellt einen Schwerpunkt dieses Workshops dar.
Gerade in der heutigen Zeit scheint es noch wichtiger zu sein, sich Zeit für den Austausch miteinander zu nehmen. Erinnerungskultur stellt einen wichtigen Teil dieses Austausches dar, aber eben nur ein Teil. Darüber hinaus ist es wichtig, von der Erinnerung ausgehend weiter in einen konstruktiven und möglicherweise auch kritischen Dialog einzutreten. Denn nur ein reger gegenseitiger Kontakt ermöglicht eine bewusste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und damit die Übernahme von Verantwortung.
In sehr offenen und teilweise kontroversen Diskussionen wurden die Themen von verschiedenen Seiten beleuchtet und so Verständnis geweckt für Unterschiede in der Wahrnehmung und Bewertung der Geschichte in den drei Kulturen als Voraussetzung für eine gemeinsame europäische Identität.

Der erste Tag des Workshops war durch das eigene „Ergehen“ und Erfahren des Ortes geprägt. In ausführlichen und detailreichen Führungen durch das Stammlager Auschwitz I und Birkenau machten sich die Teilnehmenden mit dem Ort, den Verbrechen und seiner vielschichtigen Historie vertraut. Durch die Begegnung und das Gespräch mit Auschwitz-Überlebenden am folgenden Tag wurde das am Vortag Gehörte und Gesehene konkret und sehr persönlich. Die Erinnerung und Personen des NS-Regimes waren nicht mehr nur länger ein Teil der Geschichte, sondern gewannen durch die Erzählungen der ehemaligen Häftlinge eine unmittelbare Gestalt und eine sehr persönliche, eindrückliche Note. In seiner eindrucksvollen Bilderausstellung gibt der Auschwitz-Überlebende Marian Kolodzej einen Einblick darin, wie persönliche Trauma-Aufarbeitung erfolgt und wie schwer die Last der Erinnerung sein kann.
Diese persönlichen Eindrücke wurden in den folgenden Tagen des Workshops durch themenspezifische Vorträge fachlich ergänzt und vertieft. Dr. Piotr Cywinski, Direktor der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, sprach über die „Erinnerung an Auschwitz als internationale Herausforderung“. Prof. Dr. Christine Knaevelsrud von der Freien Universität Berlin referierte über die psychologischen und medizinischen Folgen von Traumata zum Thema „Langfristige Folgen von Traumatisierung - Zum psycho-sozialen Umgang mit schwerwiegenden Gewalterfahrungen“.
Die Frage „Wie können Menschen so etwas tun?“ wurde während dieses Workshops häufig gestellt, aber gibt es eine einfache Antwort darauf? Gibt es tatsächlich spezifische Entscheidungsmerkmale in den Biographien der Täter? Diesen Fragen stellte sich der Historiker Dr. Alex Kay, Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, in seinem Vortrag: „Zum SS-Mörder werden - Fallstudie eines Täters“.
Auch wenn es in vielen Biographien von NS-Tätern Gemeinsamkeiten gibt, wie ein Bruch in der Karriere durch Arbeitslosigkeit, patriarchalisches Elternhaus, sind diese doch zumeist dem damaligen gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Hintergrund und Handlungsrahmen geschuldet. Explizite spezifische Charakteristika, die diese Täter unterscheiden, lassen sich nicht finden.
In einer vergleichenden Annäherung an die Thematik legten Direktor Dr. Robert Zurek, Institut des Nationalen Gedenkens, und Dr. Jörg Lüer dar, wie sich die Erinnerung an Auschwitz und den II. Weltkrieg in Polen und Deutschland entwickelt hat. Diese beiden Perspektiven auf den Umgang mit der Verschiedenheit von Erinnerungen machten deutlich, wie sehr diese erinnerungspolitischen Prozesse und Narrative als gesellschaftliche Versuche der Bewältigung von gravierenden Gewalterfahrungen zu verstehen sind und wie stark die daraus erwachsenden Identitäten die Beziehungen der Gesellschaften und Nationen zueinander prägen.

Dabei wurde abermals deutlich, wie wichtig der Dialog und Austausch untereinander ist: Ob der Dialog und Austausch auf der persönlichen, zwischenmenschlichen Ebene stattfindet oder der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen oder auch politischen. Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung und damit verbunden die Übernahme von Verantwortung und möglicherweise das Entstehen einer Zusammenarbeit, die verschiedenen Aufarbeitungsformen setzen Dialogbereitschaft voraus, der ein Raum geboten werden muss. Der Workshop in Auschwitz für Berufsoffiziere aus Polen, Frankreich und Deutschland bietet einen solchen Raum, der auch in diesem Jahr durch die Teilnehmer wieder intensiv genutzt wurde.

Text: Kristina Tonn

"Langfristige Folgen von Traumatisierung. Zum psychologischen Umgang mit schwerwiegenden Gewalterfahrungen"
ein Vortrag von Prof. Dr. Christine Knaevelsrud
Professorin für klinisch-psychologische Intervention an der Freien Universität Berlin
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"Zum SS-Mörder werden - Fallstudie eines Täters"
ein Paper von Dr. Alex Kay
Ltd. Wissenschaftlicher Projektkoordinator, Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
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Programm des internationalen Workshops
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